Donnerstag, 4. August 2011

Bücherkauf

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Ich setzte mich in eine der Bars an der Riva, trank meinen Morgenkaffee, studierte den Gazzettino, machte mir einige Notizen zu einem Traktat über König Ludwig in Venedig und blätterte in Grillparzers Tagebuch auf der Reise nach Italien aus dem Jahre 1819. Ich hatte das Buch in der Auslage des Buchladens in einem Vorstadtbezirk von Wien bemerkt und beschlossen, es zu kaufen, änderte diesen Beschluß dann wieder, kam nochmals darauf zurück, währenddessen ich oftmals zu allen Tageszeiten vor dem Schaufenster stehenblieb. Beim Bücherkauf bin ich einerseits sehr wählerisch und gehe oft wieder hinaus aus dem Buchladen und dann stundenlang durch die Straßen und Gassen, ehe ich mich entscheiden kann und kaufe dann meistens doch, ohne mir auch nur im geringsten über die Gründe klar geworden zu sein, das ursprünglich ins Auge gefaßte Buch und oft noch andere, von denen ich gar nichts wußte zuvor. So verlassen schien mir der Buchladen, die Bücher so verlassen. Den Zusammenhang der Welt mit Wien fühlte ich nur hier, und da war er so dünn. Aber wie jede Verlassenheit mir wieder Wärme erzeugt, so fühlte ich rasch auch das Glück dieses Buchladens, und einmal ging ich hinein, schon um das Innere zu sehn. Weil man dort wissenschaftliche Werke nicht braucht, sah es in den Regalen fast belletristischer aus als in den innerstädtischen Buchläden. Eine alte Dame saß unter einer grünüberdachten Glühlampe. Vier, fünf eben ausgepackte Kunstwart-Hefte erinnerten mich daran, daß es Monatsanfang war. Die Frau zog, meine Hilfe ablehnend, das Buch, von dessen Dasein sie kaum wußte, aus der Auslage heraus, gab es mir in die Hand, wunderte sich, daß ich es hinter der vereisten Scheibe bemerkt hatte. Unterwegs geht es mir nicht selten so wie Grillparzer, dessen Reiseerinnerungen ich nun in der Hand hielt. Wie er findet ich an nichts Gefallen und bin von allen Sehenswürdigkeiten maßlos enttäuscht und wäre, wie ich oft meint, viel besser bei meinen Landkarten und Fahrplänen zu Hause geblieben. Ich hatte dann noch den Beredten Italiener mitgenommen, ein praktisches Hülfsbuch der italienischen Umgangssprache, das ich am Tag darauf während der Weiterfahrt über die Alpen im Zug hervorgezogen habe. Ein Büchlein ganz nach meinem Herzen, hier war alles auf das beste geordnet, so als setze sich die Welt tatsächlich bloß aus Wörtern zusammen, als wäre auch das Entsetzlichste in Sicherheit gebracht, als gäbe es zu jedem Teil ein Gegenteil, zu jedem Bösen ein Gutes, zu jedem Verdruß eine Freude, zu jedem Unglück ein Glück und zu jeder Lüge auch ein Stück Wahrheit.

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