Freitag, 26. August 2011

Kommentar Schöne Schweiz


Ich weiß nicht, was die Leute wollen, sagt Thomas Bernhard, soll ich mich denn hinsetzen und schreiben, Salzburg, ist schön, das weiß doch eh jeder. Bernhard leugnet die Schönheit nicht, verweigert aber die offene literarische Annäherung, die vollkommene Schönheit aus der vollkommenen Häßlichkeit, mit diesen Worten bestimmt er irgendwo in der Verstörung sein Ideal. Sebald bekennt sich wie kaum ein anderer Dichter der Gegenwart offen zur Schönheit, seine Satzzeichnungen sind immer und an jeder Stelle schön, zweifellos nicht gegen den Willen des Autors. Immer wieder wendet er sich den schönheitstrunkenen Malern der Renaissance zu: Die Engel selbst aber hatten die Brauen im Schmerz so sehr zusammengezogen, daß man hätte meinen können, sie hätten die Augen verbunden. Und sind nicht, dachte ich mir, die weißen Flügel mit den wenigen hellgrünen Spuren der Veroneser Erde das weitaus Wunderbarste von allem, was wir uns jemals haben ausdenken können? Gerade Leid und Schmerz verlangen nach Schönheit als einzigem Ausweg und werden von ihr keineswegs verdeckt. Das wird umso deutlicher, wenn die Aufmerksamkeit sich auf Grünewald richtet: Der ruhig auf seinem Podest stehende Heilige Antonius der ersten Schauseite des Altars des Antoniterklosters in Isenheim bleibt unberücksichtigt, nicht zu reden vom Engelskonzert der zweiten Schauseite, und auf der dritten Seite zieht nicht so der vor einer zerrissenen Landschaft gesetzte, aber doch in davon unberührter, maßvoller Unterhaltung mit dem Eremiten Paulus abgebildete Antonius auf der linken Tafel die Aufmerksamkeit des Dichters auf sich, als vielmehr der schlimmen Peinigungen ausgesetzte Heilige auf der rechten Tafel. Unbeirrt schön bleibt aber die verbale Nachzeichnung der Bilder. Was nun die Schweiz anbelangt, so läßt sich Selysses weder von seiner Niedergeschlagenheit beirren noch von der trivialisierten Überzeugung von der Schönheit des Landes, sondern übertrumpft das Plebiszit mit der Mitteilung, die Schweiz sei tatsächlich zum Erstaunen schön. Kafka wird mit der Aufgabe betraut, den Nachweis zu führen, mancher mag zweifeln, ob das eine gute Wahl war. Seine Eindrücke der Außenwelt sind gewohnt knapp, prägnante Sekundenbilder im Vorbeifahren. Es beginnt in der Nacht, auch er erwähnt die innere Dämmerung des Selysses, aus der heraus er die äußere anschaut. Eine in der Nacht beleuchtete Villa, Telegraphenstangen, eher schwache Zeugen für die Schönheit der Schweiz, dann aber, beeindruckend, das Erbleichen der Matten bei aufsteigender Sonne. An einer Stelle fragt man sich, ob das Tagebuchmanuskript richtig entziffert wurde, ist es die Armut des Fensterschmucks, oder vielleicht doch eher seine Anmut, ein Wort nahe bei dem der Schönheit. Wie auch immer, Selysses ist nicht ganz zufrieden mit Kafkas Schönheitsnachweisen. In Gestalt des Malers Aurach besteigt er den Grammont, um einen großartigen Blick auf das Schweizer Land zu gewinnen. Tief unten liegt der See in ungetrübtem Frieden, die Artefakte der Menschen geschrumpft auf Spielzeuggröße, die Menschen verschwunden, eine Szenerie, die Sebald so sehr liebt, wie sie Kafka fremd ist.

Schöne Schweiz

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