Aus dem Schattenreich
Kommentar
Die Oktoberwochen habe ich, nachdem ich die ausgehenden Sommermonate mit meinen verschiedenen Arbeiten in Verona beschäftigt gewesen war, weil ich den Winter nicht mehr erwarten konnte, in einem weit oberhalb von Bruneck, am Ende der Vegetation gelegenen Hotel verbracht. Ich erinnere mich an die große Diele, ferner an einen Christus am Kreuz, der vielleicht gar nicht war. Kein Wasserkloset, der Schneesturm kam von unten herauf. Eine Zeitlang war ich der einzige Gast. Die meisten Hochzeiten der Umgebung werden im Hotel gefeiert. Ganz unsicher erinnere ich mich eines Blickes in einen Saal am Morgen nach einer Hochzeitsfeier. Auf der Diele und auf dem Gang war überall sehr kalt. Mein Zimmer war über der Hauseinfahrt; mir fiel gleich die Kälte auf, wie erst als ich den Grund bemerkte. Vor meinem Zimmer war eine Art Nebenzimmer der Diele; auf einem Tisch standen dort von einer Hochzeit her zwei vergessene Sträuße in Vasen. Der Verschluß der Fenster wurde nicht durch Klinken sondern durch Haken oben und unten bewerkstelligt. Jetzt fällt mir ein, daß ich einmal Musik hörte, ein Weilchen lang. In dem Gastzimmer war aber kein Klavier, vielleicht in jenem Hochzeitszimmer. Immer wenn ich das Fenster schloß, sah ich auf der andern Marktseite ein Delikatessengeschäft. Geheizt wurde mit großen Holzstücken. Das Stubenmädchen mit seinem großem Mund verrichtete seine Arbeit einmal trotz der Kälte mit freiem Hals und Brustansatz. Sie war bald abweisend bald überraschend anhänglich, ich immer gleich respektvoll und verlegen, dumm und stumm, wie meist vor allen freundlichen Leuten. Als ich mir für das Arbeiten am Nachmittag und Abend eine stärkere Glühlampe hatte einsetzen lassen, war sie ganz froh als sie das beim Einheizen sah. Ja, bei dem frühern Licht könne man nicht arbeiten, sagte sie. Bei diesem Licht auch nicht, sagte ich nach einigen lebhaften Ausrufen, wie sie mir in der Verlegenheit leider immer in den Mund kommen. Und ich wußte nichts anderes als meine schon auswendig gelernte Meinung herzusagen, daß das elektrische Licht sowohl zu grell als zu schwach sei. Sie heizte daraufhin schweigend weiter ein. Erst als ich sagte: Übrigens habe ich nur die frühere Lampe stärker angezündet, lachte sie ein wenig und wir waren einer Meinung. Dagegen kann ich solche Dinge: ich hatte sie immer als Fräulein behandelt und sie hatte sich danach eingerichtet; einmal kam ich zu ungewöhnlicher Zeit nachhause und sehe sie in der kalten Diele den Boden waschen. Da machte es mir nicht die geringste Mühe, durch Gruß und eine Bitte rücksichtlich des Einheizens sie vor jeder Beschämung zu bewahren. Dann, im November schon, faßte ich eines Nachmittags, als der Großvenediger auf besonders geheimnisvolle Weise aus einer grauen Schneewolke auftauchte, den Entschluß, nach Prag zurückzukehren, zuvor aber noch auf eine gewisse Zeit nach W. zu fahren, wo ich seit meiner Kindheit nicht mehr gewesen war.
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Die Oktoberwochen habe ich, nachdem ich die ausgehenden Sommermonate mit meinen verschiedenen Arbeiten in Verona beschäftigt gewesen war, weil ich den Winter nicht mehr erwarten konnte, in einem weit oberhalb von Bruneck, am Ende der Vegetation gelegenen Hotel verbracht. Ich erinnere mich an die große Diele, ferner an einen Christus am Kreuz, der vielleicht gar nicht war. Kein Wasserkloset, der Schneesturm kam von unten herauf. Eine Zeitlang war ich der einzige Gast. Die meisten Hochzeiten der Umgebung werden im Hotel gefeiert. Ganz unsicher erinnere ich mich eines Blickes in einen Saal am Morgen nach einer Hochzeitsfeier. Auf der Diele und auf dem Gang war überall sehr kalt. Mein Zimmer war über der Hauseinfahrt; mir fiel gleich die Kälte auf, wie erst als ich den Grund bemerkte. Vor meinem Zimmer war eine Art Nebenzimmer der Diele; auf einem Tisch standen dort von einer Hochzeit her zwei vergessene Sträuße in Vasen. Der Verschluß der Fenster wurde nicht durch Klinken sondern durch Haken oben und unten bewerkstelligt. Jetzt fällt mir ein, daß ich einmal Musik hörte, ein Weilchen lang. In dem Gastzimmer war aber kein Klavier, vielleicht in jenem Hochzeitszimmer. Immer wenn ich das Fenster schloß, sah ich auf der andern Marktseite ein Delikatessengeschäft. Geheizt wurde mit großen Holzstücken. Das Stubenmädchen mit seinem großem Mund verrichtete seine Arbeit einmal trotz der Kälte mit freiem Hals und Brustansatz. Sie war bald abweisend bald überraschend anhänglich, ich immer gleich respektvoll und verlegen, dumm und stumm, wie meist vor allen freundlichen Leuten. Als ich mir für das Arbeiten am Nachmittag und Abend eine stärkere Glühlampe hatte einsetzen lassen, war sie ganz froh als sie das beim Einheizen sah. Ja, bei dem frühern Licht könne man nicht arbeiten, sagte sie. Bei diesem Licht auch nicht, sagte ich nach einigen lebhaften Ausrufen, wie sie mir in der Verlegenheit leider immer in den Mund kommen. Und ich wußte nichts anderes als meine schon auswendig gelernte Meinung herzusagen, daß das elektrische Licht sowohl zu grell als zu schwach sei. Sie heizte daraufhin schweigend weiter ein. Erst als ich sagte: Übrigens habe ich nur die frühere Lampe stärker angezündet, lachte sie ein wenig und wir waren einer Meinung. Dagegen kann ich solche Dinge: ich hatte sie immer als Fräulein behandelt und sie hatte sich danach eingerichtet; einmal kam ich zu ungewöhnlicher Zeit nachhause und sehe sie in der kalten Diele den Boden waschen. Da machte es mir nicht die geringste Mühe, durch Gruß und eine Bitte rücksichtlich des Einheizens sie vor jeder Beschämung zu bewahren. Dann, im November schon, faßte ich eines Nachmittags, als der Großvenediger auf besonders geheimnisvolle Weise aus einer grauen Schneewolke auftauchte, den Entschluß, nach Prag zurückzukehren, zuvor aber noch auf eine gewisse Zeit nach W. zu fahren, wo ich seit meiner Kindheit nicht mehr gewesen war.
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