Freitag, 29. Juli 2011

Brotzeit auf Rädern

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Mir gegenüber hatte sich, obschon sonst genügend Platz war, ein dicker, querschädliger Mann von vielleicht fünfzig Jahren hingehockt. Er hatte ein rotfleckig angelaufenes Gesicht und sehr engstehende, etwas einwärts verdrehte Augen. Schwer vor sich hin schnaufend, wälzte er in einem fort seine unförmige Zunge, auf der sich noch Essensreste befanden, in seinem halboffenen Mund. Die Beine gespreizt saß er da, Bauch und Unterleib auf eine grauenerregende Weise eingezwängt in eine kurze Sommerhose. Ich hätte nicht zu sagen gewußt, ob die Körper- und Geistesdeformation meines Mitreisenden ihre Ursache hatte in einer langen psychiatrischen Internierung, in einer angeborenen Debilität oder allein im Biertrinken und Brotzeitmachen. Unterdessen aß, ihm schräg gegenüber auf der anderen Seite des Ganges, ein magerer Reisender – das, was man Windbeutel nennt – mit raschem Schlucken Schinken, Brot und zwei Würste, deren Haut er mit einem Messer durchsichtig kratzte, bis er schließlich alle Reste und Papier unter die Bank hinter das Heizungsrohr warf. Während des Essens hatte er in dieser unnötigen, mir so sympathischen, aber erfolglos nachgeahmten Hitze und Eile zwei Abendblätter, mir zugewendet, ausgelesen. Er hatte weit abstehende Ohren und eine verhältnismäßig breite Nase. Mit den fetten Händen wischte er Haare und Gesicht, ohne sich schmutzig zu machen, was ich auch nicht darf. Das scheinbar umfangreiche Glied machte in der Hose einen starken Wulst. Um das Bild abzurunden sei noch die alte Frau zwei Bänke weiter erwähnt, die einen großen Apfel aß, zu dessen völliger Vertilgung die gute Stunde bis zu unserer Ankunft gerade hinreichte. Der Fluß folgte den Schleifen des Flußlaufs durch das Wiesental, Hügel und Wälder zogen langsam vorbei, Abendschatten legte sich über das Land, und die alte Frau zerteilte mit ihrem Federmesser, das sie stets aufgeklappt in der Hand behielt, Schnitz um Schnitz ihren Apfel, zerkiefelte die abgeschnittenen Stücke und spuckte die Schale in ein Papiertuch, das sie auf dem Schoß liegen hatte. In der menschenleeren Straße vor dem Bahnhof stand nur eine einzige Droschke. 

Keine Kommentare: