Aus dem Schattenreich
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Mir gegenüber saßen eine Franziskanerin von vielleicht dreißig oder fünfunddreißig Jahren und ein junges Mädchen mit einer aus vielen farbigen Flecken geschneiderten Jacke um die Schultern. Das Mädchen war gerade erst zugestiegen, die Franziskanerschwester hatte bereits im Zug gesessen. Die Schwester las ihr Brevier, das Mädchen, nicht minder versenkt, einen Bilderroman. Von vollendeter Schönheit waren sie beide, dachte ich mir, abwesend und anwesend zugleich, und ich bewunderte den tiefen Ernst, mit dem sie jeweils die Blätter umwendeten. Einmal blätterte die Franziskanerschwester um, dann das junge Mädchen und dann wieder die Franziskanerschwester. So ging es die ganze Zeit fort, auch nur ein einziges Mal mit der einen oder der anderen einen Blick zu wechseln. Dann war da noch, auf dem mir zugewandten Sitz am Fenster der anderen Gangseite, ein junger rotwangiger Bursch, der viel im Interessanten Blatt las, das er zwar rücksichtslos mit der Handkante aufriß, um es aber schließlich mit der immer von mir bewunderten Sorgfalt unbeschäftigter Menschen, als wäre es ein Seidentuch, mit vielfachem Zusammendrücken, Eindrücken der Kanten von innen, Festmachen von außen, Abklopfen der Flächen, zusammenzulegen und, dick wie sie ist, in die Brusttasche zu stopfen. Er würde es also noch zu Hause lesen. Naturgemäß konnte er meine Aufmerksamkeit längst nicht in dem gleichen Maße fesseln wie die beiden jungen Frauen. Ich weiß gar nicht, wo er ausgestiegen ist. Jedenfalls versuchte ich mich dann selber zu üben in einer ähnlichen Bescheidenheit und holte den Beredten Italiener heraus, ein praktisches Hülfsbuch der italienischen Umgangssprache. In diesem Büchlein war alles auf das beste geordnet, so als setze sich die Welt tatsächlich bloß aus Wörtern zusammen, als wäre auch das Entsetzlichste in Sicherheit gebracht, als gäbe es zu jedem Teil ein Gegenteil, zu jedem Bösen ein Gutes, zu jedem Verdruß eine Freude, zu jedem Unglück ein Glück und zu jeder Lüge auch ein Stück Wahrheit.
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