Samstag, 9. Juli 2011

Entlang der Mauer

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Unter einem matten Weiß regungslos verharrten die Häuser und Höfe, lagen die Weiden und die unbefahrenen Straßen und Wege. Über allem der graue Himmel hing so weit und so schwer herunter wie nur vor einem ganz großen Schneefall. Mein Weg ging am Lehrerhaus und am Kaplanhaus vorbei und die hohe Friedhofsmauer entlang. Schaue ich heute auf die Mauer, so beeindruckt sie mich wenig. Damals aber schien sie mir eine Länge und ein Ausmaß zu haben, das mich verzagen ließ. Um die Strecke irgendwie zu bewältigen mußte ich mir immerfort neue, Spiele ausdenken, die ich mit mir selbst im Kopf spielen konnte. An diesem Tag sagte ich mir, es ist keine öde Mauer, es ist zur Mauer zusammengepreßtes süßestes Leben, Rosinentrauben an Rosinentrauben. Ich glaube es nicht, antwortete ich mir selbst. Koste davon. Ich kann vor Nichtglauben die Hand nicht heben. Ich werde Dir die Traube zum Mund reichen. Ich kann sie vor Nichtglauben nicht schmecken. Dann versinke. Sagte ich nicht, daß man vor der Öde dieser Mauer versinken muß? – Damit war ich schon am Ende der Friedhofsmauer angelangt, dort wo der heilige Georg mit seinem Spieß ohne Unterlaß dem zu seinen Füßen liegenden greifartigen Vogeltier den Rachen durchbohrte. Wenn ich auch keineswegs die Augen verschloß vor der Grauenhaftigkeit dieses endlosen blutigen Gechäfts, so fühlte ich mich doch jedesmal von dem furchtlosen Ritter wie befreit und erlöst. Dann mußte ich den Kirchhofberg hinunter und durch die obere Gasse.

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