Freitag, 11. November 2011

Kommentar Marienbad

Selysses, in der Gestalt von Austerlitz, und Marie haben in den Parks von Marienbad einen Spaziergang in der sogenannten trauten Zweisamkeit verbracht, als sie auf dem Rückweg eine Reihe unerwarteter Begegnungen haben. Zunächst huscht ein Trupp von zehn bis zwölf Leuten über den Weg. Ihr Verhalten erinnert zum einen an die Besuchergruppen aus den osteuropäischen Ländern, die, wie Thomas Bernhard uns erzählt, von ihren Führern vorbei an den Sehenswürdigkeiten und durch die Galerien getrieben worden sind, getrieben sei das richtige Wort, denn diese Gruppen gingen nicht durch ein Museum, sie liefen durch, gehetzt, im Grunde völlig uninteressiert, vollkommen ermüdet von allen Eindrücken, die sie auf der Anreise über sich haben ergehen lassen müssen. Zum anderen aber ähnelt der Trupp den Toten in Wales oder auf Korsika, die in kleinen Banden und Gruppen und manchmal in regelrechten Regimentern herumziehen. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie normale Leute, aber sowie man genauer hinschaut, verwischen sich ihre Gesichter oder flackern, gerade wie die Gesichter der Schauspieler in einem alten Film. - Vielleicht ist auf eine geheimnisvolle Art beides zutreffend, es sind Verschundene, die da durch unser Blickfeld huschen. Nicht weniger verwunderlich und althergebracht ist die Erscheinung des Rabbis, auf den sie treffen, als sie sich vor dem Regen in ihr Hotel flüchten wollen, verwunderlich nicht so sehr der Rabbi selbst, als das Maß der Ehrerbietung, das ihm entgegen gebracht wird. Das alles ist heute wohl doch ein wenig abgeflacht. Die beiden erleben die Begegnungen weniger als Störung denn als Bereicherung, als Abenteuer.

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