Montag, 14. November 2011

Kommentar Selbdritt

Gäbe es, wie beim Film, einen Oscar für die Nebenrollen in Sebalds Werk, würden vermutlich als erste die Empfangsdamen - die auch männlich sein können - und dann die Mitreisenden ausgezeichnet, Menschen, die für einen Augenblick nur in das Leben des Wanderers treten, aber in großer räumlicher Nähe, mit dem Merkmal des Unausweichlichen, fast schon der Vorherbestimmung, und die dementsprechend einen, wenn nicht tiefen, so doch prägnanten Eindruck hinterlassen. Bei Kafka dringen diese Leute kaum ins Werk vor, streben in den Reisetagebüchern aber fast schon nach der Hauptrolle. Dabei bleibt Kafka in der Position des distanzierten Betrachters, während für Selysses unter der Leitung Sebalds immer ein Spiel von Anziehung oder Zurückschrecken beginnt. Zu einer Bekanntschaft kommt es aber so gut wie nie, auch bei der Winterkönigin, im Zug rheinabwärts nach Bonn, ist er, so sehr es ihn später auch reut, nur dumm und stumm dagestanden. Hier nun reist er selbdritt nach Deauville. Von der zigarrerauchenden Dame ist Selysses sicher nicht im üblichen Sinne attrahiert, vermag sich ihrer Präsenz aber nicht entziehen und muß sie still leidend erdulden. Als er dann - die gefiederte Dame ist ausgestiegen, der Qualm hat sich verzogen - dem älteren ihm gegenüber Fräulein seine Aufmerksamkeit zuwenden kann, ist es fast eine Beruhigung, daß sie das Gesicht mit der Zeitung verdeckt und so die Last des Miteinanders weiter mildert. Als er ihr später im offenen Areal der Stadt ein weiteres Mal begegnet, vermag sie sein Sinnen über den allgemeinen Niedergang nicht weiter zu stören oder zu beeinflussen.

Selbdritt

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