Montag, 28. November 2011

Spätsommerschatten

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Die Krummenbacher Kapelle ist so klein, daß mehr als ein Dutzend auf einmal gewiß nicht ihren Gottesdienst verrichten oder ihre Andacht üben konnten. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich als Kind mit dem Großvater, der mich überallhin mitgenommen hat, jemals in der Krummenbacher Kapelle gewesen bin. Aber Kapellen wie die von Krummenbach gab es zahlreiche in unserer Gegend, und vieles von dem, was ich damals von ihnen gesehen und gespürt habe, wird in mir geblieben sein, die Angst vor den dort abgebildeten Grausamkeiten nicht weniger als in seiner Unerfüllbarkeit der Wunsch nach einer Wiederholung der in ihrem Inneren herrschenden vollkommenen Stille. Der Großvater war kein Landwirt, stand aber in vielerlei Hinsicht und vor allem, was die Liebe zu Feld und Land anbelangt, den Bauern nicht nach. Wenn er zur Haustür hinauskam, blieb er immer zunächst stehen, um nach dem Wetter zu schauen. Das ganze Jahr über ging ich mit ihm durch die Felder, und wenn es Herbst war, machte er mich darauf aufmerksam, wie ganz braun und wehmütig sie jetzt dastanden mit den verlassenen Pflügen, und wie die doch silbrig aufleuchteten, wenn dann trotz allem die späte Sonne kam und unsere langen Schatten auf die Furchen warf. Hast Du schon bemerkt, rief der Großvater, wie Spätsommerschatten auf durchwühlter dunkler Erde tanzen, wie körperhaft sie tanzen. Hast Du schon bemerkt, wie die Erde sich entgegenhebt der fressenden Kuh, wie zutraulich sie sich entgegenhebt. Hast Du schon bemerkt, wie schwere fette Ackererde unter den allzu feinen Fingern zerbröckelt, wie feierlich sie zerbröckelt. In diesen frühen Wanderungen und Gesprächen mit dem Großvater erhielt mein Weltbild eine Ausrichtung, die bis zum heutigen Tag noch wirkt.

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