Ein Photo im Band Saturn’s Moons zeigt Sebald im Kreise einer größeren Zahl von Seminarteilnehmern, für den ausschließlich an den in den Prosabücher allgegenwärtigen sebaldnahen Erzähler gewöhnten Leser ein befremdlicher Anblick: so kennt er Selysses nicht. Aus dessen eigenem Munde hat der Leser erfahren, daß es ihm von Jahr zu Jahr unmöglicher wird, sich unter ein Publikum zu begeben. Nun haben wir es auf dem Photo nicht gerade mit einem Publikum zu tun, aber doch mit einer größeren Menschengruppe, und auch so kennt man Selysses kaum. Oft ist er allein, nicht selten in einer eigens von seinem magischen Blick entvölkerten Welt, wir sehen ihn im Gespräch mit einem Partner oder selbdritt, selten in einer Gesellschaft, die hinausgeht über den russischen Dual, der bekanntlich bis zur Zahl Fünf reicht. Wenn Trupps in Regimentsstärke vorüberziehen, sind es zumeist die ruhelosen Toten in Wales oder auf Korsika.
Der Sebald auf dem Gruppenbild scheint ähnlich zu denken wie seine Leser. Einerseits dominiert er das Bild durch die zentrale Stellung im Vordergrund, durch die hochaufgeschossene Gestalt und die leuchtend helle Hose, andererseits aber schaut kein anderer der Photographierten so abwesend und nach innen gekehrt, mit einem Lächeln wohl das Gefühl überspielend, er sei in einer falschen Welt und sehne sich zurück in die Geborgenheit seiner Bücher.
In einem in diesen Tagen veröffentlichten Streitgespräch zwischen Derek Burke und Uwe Schütte geht es um Sebalds Position an der University of East England, und wieder erfaßt den Sebaldleser ein leichtes Gefühl der Befremdung. Zwar weiß er, daß Sebald im Hauptberuf Hochschullehrer war und als Dichter erst spät hervorgetreten ist, will es aber doch nicht recht glauben. Im Werk ist von seiner Professur nur selten und dann in kaschierter Form die Rede. Von den Kollegen Janine Rosalind Dakyns und Michael Parkinson wird zu Beginn der Ringe des Saturn recht ausführlich berichtet, auch ihre Arbeitsgebiete, Ramuz und Flaubert, werden vorgestellt, Selysses selbst bleibt in dieser Hinsicht abgeschattet, und der Leser ist es zufrieden.
Der Sebald auf dem Gruppenbild scheint ähnlich zu denken wie seine Leser. Einerseits dominiert er das Bild durch die zentrale Stellung im Vordergrund, durch die hochaufgeschossene Gestalt und die leuchtend helle Hose, andererseits aber schaut kein anderer der Photographierten so abwesend und nach innen gekehrt, mit einem Lächeln wohl das Gefühl überspielend, er sei in einer falschen Welt und sehne sich zurück in die Geborgenheit seiner Bücher.
In einem in diesen Tagen veröffentlichten Streitgespräch zwischen Derek Burke und Uwe Schütte geht es um Sebalds Position an der University of East England, und wieder erfaßt den Sebaldleser ein leichtes Gefühl der Befremdung. Zwar weiß er, daß Sebald im Hauptberuf Hochschullehrer war und als Dichter erst spät hervorgetreten ist, will es aber doch nicht recht glauben. Im Werk ist von seiner Professur nur selten und dann in kaschierter Form die Rede. Von den Kollegen Janine Rosalind Dakyns und Michael Parkinson wird zu Beginn der Ringe des Saturn recht ausführlich berichtet, auch ihre Arbeitsgebiete, Ramuz und Flaubert, werden vorgestellt, Selysses selbst bleibt in dieser Hinsicht abgeschattet, und der Leser ist es zufrieden.
Wie dem Beruf, so ergeht es auch der Familie des Dichters, sie bleibt weitgehend unsichtbar. Sebalds Frau tritt wohl nur zweimal, mit anderem Namen und jeweils nur kurz, als Frau des Selysses auf. Der scheint auch keine dauerhafte Wohnung und kein Arbeitszimmer zu haben. Seine Name wird nicht genannt, es gibt aber verschiedene Hinweise darauf, daß er häufig unter Verwendung des Alias Sebald unterwegs ist, als Beleg zu nennen wäre etwa das Ersatzdokument für den in Limone verlorenen Paß. In einem Hotel in Verona heißt er freilich Jakob Phillip Fallmerayer. Verschiedene Photos im Text, so undeutlich sie auch sein mögen, geben eine unverkennbare Ähnlichkeit des Wanderers mit Sebald zu erkennen, Photos, die eine Ähnlichkeit mit Fallmerayer bezeugen könnten, fehlen. Es ist wohl die schlagendste und schönste Koinzidenz in dem an Koinzidenzen reichen Werk ist, daß Selysses gerade so aussieht wie Sebald. Hätte Sebald die leicht adipöse Silhouette des Pyknikers Stendhal aufgewiesen, so würden die Leser damit kaum weniger Schwierigkeiten haben als Stendhal mit seinem realen Leben als tour ambulante, denn naturgemäß müßte Selysses die schlanke Gestalt und, zumindest im Groben, die Gesichtszüge des Sebalds behalten, den wir kennen.
Hält man sich an die traditionelle Eidesformel, so sagt Sebald in seinem dichterischen Werk über sich die Wahrheit, keineswegs aber die ganze Wahrheit und ebensowenig nichts als die Wahrheit. Die Verschlankung des realen Sebald zur Kunstfigur des Selysses hat ihren Grund dabei weniger in bürgerlicher Diskretion denn in ästhetischer Empfindlichkeit. Wie wichtig die richtige Dosierung beim Einsatz des Selysses für das Gelingen des jeweiligen Werkes ist, zeigt der deutlich unterdosierte Einsatz in Austerlitz. Selysses entwickelt in diesem Buch kaum Eigenleben, stellt keine eigenen Recherchen an, blättert in keinen Aufzeichnungen, spricht mit keinen Zeugen wie mit Mme Landau in Paul Bereyter oder der Tante Fini und dem Onkel Kasimir in Ambros Adelwarth. Die entsprechenden Aktivitäten nimmt Austerlitz selbst wahr, und Selysses ist nur der blasse Rezipient seiner Berichte bei teils zufälligen und teils anberaumten Treffen der beiden. Das gegenteilige Beispiel eines überdosierten Selysses, der die Erzählung durch seine Präsenz erdrücken würde, fehlt im Werk. In den perfekt ausgewogenen Ringen des Saturn füllt sich die gar nicht überladene und aufnahmefähige Gestalt des Wanderers mit allen Inhalten des Buches, trügen sie sich auch in China zu. Als ich von diesem Aussichtspunkt herabblickte, sah ich auch das Labyrinth selber, den hellen Sandboden, die scharf abgezirkelten Linien der mehr als mannshohen, fast schon nachtschwarzen Hecken, ein im Vergleich mit den Irrwegen, die ich zurückgelegt hatte, einfaches Muster, von dem ich mit absoluter Sicherheit wußte, daß er einen Querschnitt darstellte durch mein Gehirn. - Bei einem derart autornahen, aber sparsam ausgemalten Erzähler kann der Versuch nicht ausbleiben, das Fehlende aus dem wahren Leben zu ergänzen. Ästhetisch fruchtbar ist dieser Ansatz aber wohl nur, wenn er sozusagen rückwärts angewandt wird, zu besseren Konturierung dessen, was der Autor ausgespart und verworfen hat in seiner Zeichnung.
In dem bereits erwähnten Disput weist U. Schütte die Idee, Sebald habe nur vom Ausland aus über Deutschland schreiben können, schon aus dem Grund als falsch zurück, daß er über Deutschland kaum geschrieben habe. Er fügt hinzu: What would, of course, make much more sense were if Sebald had explained about his need to distance himself from a German-speaking environment in order to write in his native tongue - just as he did explain in so many interviews. Wenn er Abstand von einer Sprache brauchte, um in ihr zu schreiben, so ist im Umkehrschluß das leicht vorwurfsvolle Erstaunen vieler angelsächsischer Rezensenten fehlgeleitet, das Erstaunen darüber, daß Sebald nicht wie jeder gute Conrad oder Nabokow - und im Grunde jede vernünftige Person, sei sie jung oder alt, Mann oder Frau - in englischer Sprache geschrieben hat. Man wird dem entgegenhalten, nur von historisch kompromittierten Deutsch habe er den Abstand gebraucht, vom unbefleckten Englisch keineswegs, aber das ist, wie der Dichter sagt, ein weites Feld.
Der Abstand von der deutschen Sprache erlaubte es Sebald, sie nach seinen Vorstellungen zu lichten. Neologismen im Lexikon und in der Syntax sind nur bis zu einem bestimmten Stichtag zugelassen, Sebalds schauderndes Zurückschrecken vor dem deutsche Wort Handy ist bekannt. Auch auf die sprachlichen Läuterungen hin zu einer welterlösenden Gerechtigkeit hat er sich nicht eingelassen, die Zigeuner sind Zigeuner geblieben und die Neger Neger, nicht nur wenn er Conrad in die Vergangenheit und an den Lauf des Kongo folgt, sondern auch, wenn er ihnen im heimischen Allgäu, auf den amerikanischen Highways und in den Londoner U-Bahnschächten begegnet. Selysses bedarf dessen nicht, er wandert auch so durch einen Garten Eden der Sprache.
Der Gedanke, daß sich Sebalds Tod in diesen Wochen zum zehnten Mal jährt fällt als schwere Last auf seine Leser, eine Last aber, die in keiner Weise vergleichbar ist dem Schmerz derer, die ihn im Leben gekannt haben und jetzt im Leben vermissen. Für die Leser bleibt sein Tod im Grunde unwirklich, denn die schlanke Gestalt, die allein sie kennen, wandert unbeirrt weiter in den Büchern. Vielleicht, so denken sie, hat sich ja auch Sebald selbst vorsorglich immer mehr in seine Bücher begeben und so mit einem durchtriebenen Zaubertrick ein größeres Maß an Unsterblichkeit erreicht als kaum jemand vor ihm, vermittels einer Art schwindelhafter Schaustellerei sich und die Welt glauben gemacht, das arme Herz stünde noch in Flammen. I think all our philosophical systems, all our systems of creed are build in order to make some sort of sense, which there isn’t, as we all know. (Audience laughter)
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