Samstag, 21. Januar 2012

Allmählich zu Holz

Aus dem Schattenreich
Als die Stunde des Abschieds gekommen war, hatte er allerlei komische Veranstaltungen zu treffen, damit nicht das Mädchen vor der ganzen Gesellschaft zu schluchzen anfing. Zuletzt ging er mit ihr zur Anlegestelle des Schiffes hinab und sie mit unsicheren Schritten über die kleine Gangway an Bord des Schiffes hinüber. Als er sie zum letzten Mal sah, malte sie mit der linken Hand, die rechte lag ruhig auf der Reling, etwas ungeschickt das Zeichen für Ende in die Luft. Das Dampfboot legte nun ab und schob sich unter mehrmaligem Tuten halb seitwärts in den See hinaus. Sie stand noch immer an der Reling. Kaum daß sie noch zu erkennen war. Schließlich war auch das Schiff fast nicht mehr zu sehen, nur noch die weiße Spur, die es im Wasser hinterließ, das sich nun auch nach und nach beruhigte. Das Ende war es aber noch nicht, denn erst jetzt begann, worauf er sich am besten verstand, viel besser jedenfalls als auf die anwesende Liebe – die mit einer Theorie der Körperlosigkeit zu unterlegen er sich genötigt gesehen hatte: es begann der Austausch von Briefen, so schnell und häufig wie es der Zustelldienst nur erlaubte. Kaum hatte sie ihre glückliche Ankunft daheim angezeigt, antwortete er schon: Was für Geschichten, wie viele Menschen Du kennst und die Spaziergänge und die Pläne. Ich weiß keine Geschichten, sehe keine Menschen, mach täglich Spaziergänge in Eile durch vier Gassen, deren Ecken ich schon abgerundet habe, und über einen Platz, zu Plänen bin ich zu müde. Vielleicht werde ich von den erfrorenen Fingerspitzen aufwärts – ich trage keine Handschuhe – allmählich zu Holz. Nachdem er offenbar umgehend Antwort erhalten hatte, heißt es nur wenige Tage später: Ich bin jetzt ganz plötzlich unter Leute gekommen, Offiziere, Berliner, Franzosen, Maler, Coupletsänger, und die haben mir die paar Abendstunden nun ganz lustig weggenommen, freilich nicht nur die Abendstunden, gestern in der Nacht zum Beispielhabe ich dem Kapellmeister eines Orchesters, für den ich keinen Kreuzer Trinkgeld hatte, statt dessen ein Buch geborgt. Und so ähnlich. Man vergißt dabei, daß die Zeit vergeht und daß man die Tage verliert, darum ist es zu billigen. - Die Korrespondenz ist dann in dieser Weise noch eine ziemliche Zeit fortgeführt worden, bevor alles recht plötzlich das vorhergesagte Ende hatte.

Keine Kommentare: