Samstag, 14. Januar 2012

Nachsommer

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Da in diesem Land die Richter in aller Regel bis ins fortgeschrittene Alter im Amt bleiben, war Dr. Farrar eben erst in den Ruhestand eingetreten, als er das Haus in unserer Nachbarschaft erwarb, um sich dort ganz der Zucht seltener Rosen und Veilchen zu widmen. Der Garten, den Farrar um diese von ihm in Dutzenden von Variationen gehegten Blumen herum zusammen mit einem tagtäglich ihm zur Hand gehenden Gehilfen namens Eustace im Verlauf eines Jahrzehnts anlegte, gehörte zu den schönsten in der ganzen Gegend. Selbst die unverdrossen tatkräftigen, ihm im Wesen weitgehend fremden Deutschen hätten ein herbstliches, von den Rosen beherrschtes Buch, sagte er mir einmal, er habe es in seiner Jugend gelesen, ein schwer erträgliches Werk von eigenartiger Schönheit, wie es ihm in der Erinnerung scheine. Auf Wunsch seines Vaters habe er seinerzeit in Prag und Bologna Rechtswissenschaft studiert und in der Folge, wie er mit einem gewissen Entsetzen bekannte, mehr als ein halbes Jahrhundert in Anwaltskanzleien und Gerichtshöfen zugebracht. Begonnen habe seine sogenannte berufliche Karriere auf einem Juristenposten, mit winzigen 80 Scudi Gehalt und unermeßlichen acht bis neun Arbeitsstunden bei der Assicurazioni Generali. Die Stunden außerhalb des Bureaus habe er in dieser Zeit wie ein wildes Tier gefressen. Da er es gar nicht gewohnt gewesen sei, sein Tagesleben auf sechs Stunden einzuschränken und außerdem noch Russisch gelernt und die Abende der schönen Tage am liebsten im Freien verbracht habe, sei er aus dem Gedränge der freien Stunden wenig erholt herausgekommen. Im Bureau habe er immerhin die Hoffnung gehabt, auf den Sesseln sehr entfernter Länder einmal zu sitzen und aus den Bureaufenstern Zuckerrohrfelder oder mohammedanische Friedhöfe zu sehen. Das Versicherungswesen selbst habe ihn sogar interessiert, die Arbeit aber sei sehr traurig gewesen. Das sei nun alles vorbei und auch das rastlose Schreiben von Briefen an junge schöne Demoisellen, vor, während und nach der Arbeitszeit, habe naturgemäß längst ein Ende gefunden.

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