Dienstag, 24. Januar 2012

Winter

Aus dem Schattenreich
Man glaubt, man stolpere unaufhörlich durch unvollendete Selbstmorde, jeden Augenblick ist man fertig und muß gleich wieder anfangen und hat in diesem Lernen den Mittelpunkt der traurigen Welt. Für mich aber ist es im Winter immer schlimmer gewesen. Wenn man so im Winter schon nach dem Essen die Lampe anzünden mußte, die Vorhänge heruntergab, bedingungslos sich zum Tisch setzte, von Unglück schwarz durch und durch, doch aufstand, schreien mußte und als Signal zum Wegfliegen stehend noch die Arme hob. Ich denke an die Winter, die ich als Kind oft bei den Großeltern verbracht habe, an den Schnee auf der Tatra, an die verwehten Scheiben der Schlafkammer, an die Wächten vor dem Vorhaus, die weißen Hauben auf den Isolatoren der Telegraphenstangen und an den manchmal monatelang zugefrorenen Brunnentrog, und ich denke an den Wunsch, den ich als Kind immer gehabt hatte, daß alles zuschneien möge, das ganze Dorf und das Tal bis zu den obersten Höhen hinauf, und daran, daß ich mir vorstellte damals, wie es wäre, wenn wir im Frühjahr wieder auftauten und hervorkämen aus dem Eis. Man kommt ja anders heraus aus dem Eis und dem Schnee, und im Frühjahr und im Sommer sind die Fenster und die Türen offen und die gleiche Sonne und Luft ist in dem Zimmer, in dem man lernt und in dem Garten, wo andere spielen, man fliegt nicht mehr in seinem Zimmer mit den vier Wänden in der Hölle herum, sondern beschäftigt sich als lebendiger Mensch zwischen zwei Wänden. Das ist ein großer Unterschied, was aber noch an Verfluchtem bleibt, das muß man doch durchreißen können. Man wird es sicher können, wenn ich es kann, ich, der förmlich alles nur im Fallen machen kann.

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