Dienstag, 26. April 2011

Kommentar Tigers Schlaf

Das Oberhaupt der Artistenfamilie, die gemeinschaftlich mit Selysses im deutschen Konsulat zu Mailand wartet, hat uns bereits den Ritt der Träume nahe gebracht, jetzt erzählt er zur Verkürzung der nur schleppend vergehenden Zeit eine Episode aus dem Leben des Großkatzenbändigers Burson. Bei dem Tiger, der ganz und gar unbeeindruckt von der ihm gänzlich fremden Umgebung in Schlaf verfällt, mag man für einen Augenblick an die Geschichte des friedlichen Stiers Ferdinand denken, zwei Tiere, Tiger und Stier, denen man Wildheit beimißt, lassen Wildheit vermissen. Die Geschichten entwickeln sich dann aber sehr unterschiedlich. Während Ferdinand von einer Wespe gestochen bei aller Friedfertigkeit in eine kurze schmerzgeschuldete Raserei verfällt und sich so unter unfreiwilliger Vorspielung falscher Tatsachen für eine, dann allerdings gründlich scheiternde, Laufbahn in der Arena qualifiziert, legt der Tiger, fern jeder Schauspielerei, eine frappierende Indolenz an den Tag. Als Voraussetzung des Schlafes geht diese Indolenz sicher in die Folgerungen ein, die Burson aus seiner Schlafbeobachtung zieht. Seinen Folgerungen können wir, was den Tiger anbelangt, vertrauen, er ist der Fachmann und hat die Erfahrung. Vorsicht muß dagegen walten bei der Übertragung auf den Menschen. Tierliebhabern übertreiben oft die Übereinstimmungen von Mensch und Tier, Humanisten andererseits unterschätzen sie gern. Kaum jemand steht in der Mitte. Bemerkenswert ist in jedem Fall unsere Scheu, einen anderen Menschen im Schlaf zu beobachten und unser Unwille, schlafend beobachtet zu werden.
Tigers Schlaf

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