Samstag, 26. Februar 2011

Ritt der Träume

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Unter den Wartenden befand sich eine Aristenfamilie, die, wie mir vorkam, aus einer zumindest ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Zeit hierher verschlagen worden war. Das Oberhaupt der kleinen Truppe trug einen weißen Sommeranzug und überaus elegante steifleinene Schuhe mit Lederbesatz. In den Händen drehte er, einmal links herum, einmal rechts herum, einen wirklich wunderbaren, formvollendeten weitkrempigen Cappella di paglia. Man sah seinen wenigen Bewegungen an, daß das Kochen einer Eierspeise auf einem Hochseil, wie Blondin es bei seinen Auftritten sensationellerweise vollführt hatte, für ihn ein Kinderspiel gewesen wäre. Eine sehr schöne und wirkungsvolle Aufführung, so erklärte er mir, nachdem wir ins Gespräch gekommen waren, sei immer der Ritt gewesen, den sie den Ritt der Träume genannt hatten. Sie zeigten ihn schon seit langen Jahren, der welcher ihn erfunden hat, ist längst gestorben, an Lungenschwindsucht, aber diese seine Hinterlassenschaft ist geblieben und wir haben noch immer keinen Grund, den Ritt vom Programm abzusetzen, umsoweniger, als er von der Konkurrenz nicht nachgeahmt werden, er ist, obwohl er auf den ersten Blick nicht verständlich ist, unnachahmbar. Wir pflegen ihn an den Schluß der ersten Abteilung zu setzen, als Abschluß des Abends würde er sich nicht eignen, es ist nicht Blendendes, nichts Kostbares, nicht wovon man auf dem Nachhauseweg spricht, zum Schluß muß etwas kommen, was auch dem gröbsten Kopf unvergeßlich bleibt, etwas was den ganzen Abend vor dem Vergessenwerden rettet, etwas derartiges ist dieser Ritt nicht. Nach diesen Worten fiel er in Schweigen, in dem die neben ihm sitzende, nordländisch wirkende Frau die ganze Zeit verharrt hatte, in ihrem maßgeschneiderten Kostüm, auch sie eine Erscheinung aus vergessener Zeit. Unbeweglich saß sie da, sehr aufrecht und die ganze Zeit mit geschlossenen Augen. Zu den beiden, die, wie ich von ihm erfahren hatte, Giorgio und Rosa Santini hießen, gehörten drei nahezu gleichaltrige und einander sehr ähnliche Mädchen in Sommerkleidern aus feinstem Batist, die einmal still beisammensaßen und dann wieder zwischen den Sesseln und Tischen herumgingen, als hätten sie es darauf angelegt, aus ihren Wegen eine schöne Schleife zu machen. Die eine hatte ein buntes Windrädchen dabei, die andere ein ausziehbares Teleskop und die dritte einen Sonnenschirm. Abgesondert von den Santinis, aber ganz offenbar ihnen doch zugeneigt, saß die Nonna in einem schwarzen Seidenkleid. Sie war mit einer Häkelarbeit beschäftigt, von der sie nur ab und zu aufblickte, um – sorgevoll, wie mir schien, zu dem Paar oder zu den drei Schwestern hinüberzusehen. Schwerelos verging mir in der Gesellschaft dieser Leute die Zeit.

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