Montag, 13. Juni 2011

Berg Sinai

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Unter dem Portal der Grabeskirche trug ein verwachsenes Männlein mit mordsmäßiger Nase sich uns als Führer an durch das Gewirr der ineinandergebauten Quer- und Seitenschiffe, Kapellen, Schreine und Altäre. Wie er versicherte, beschränkten sich seine Kenntnisse keineswegs auf die Grabeskirche, sondern erfaßten alle Ecken Jerusalems und erstreckten sich bis an die Grenzen des Heiligen Landes und darüber hinaus. Man nehme etwa den Berg Sinai. Viele, so das Männlein, umschleichen den Berg Sinai. Ihre Rede ist undeutlich, entweder sind sie redselig oder schreien sie oder sind sie verschlossen. Aber keiner kommt geraden Weges herab auf einer breiten, neu entstandenen, glatten Straße, die ihrerseits die Schritte groß macht und beschleunigt. Was er da über den Berg Sinai zu sagen wußte, blieb dunkel und empfahl ihn nicht als Führer, wenn es eines derartigen, auf seine Worte sich gründenden Vorbehalts überhaupt bedurft hätte. Er hatte einen weit in das letzte Jahrhundert zurückdatierenden grellgelben Gehrock am Leib, und seine krummen Beine steckten in einer mit himmelblauen Streifen besetzten einstmaligen Dragonerhose. Vielleicht aber hatte das, was er vom Sinai sagte, einen tiefen Sinn, und nur wir konnten ihn nicht verstehen.

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