Dienstag, 10. Mai 2011

Kommentar Das Pferd stolperte

Zu Kafkas Lebens- und Schreibzeit waren Pferde noch allgegenwärtig, zur Zeit der Wanderungen des Selysses dagegen schon so gut wie verschwunden aus dem Alltagsleben. Das macht die Zusammenführung der Dichter bei diesem Thema schwierig. Kafkas zahlreichen Pferden hält Sebald nur recht wenige entgegen. Ob Stendhal durch Oberitalien reitet, ist nicht klar, Pferde, sei es nun unterm Sattel oder vor einer Kutsche, waren aber wohl involviert. Kafka findet wenig Gefallen an der fortdauernden Betrachtung des hingebreiteten Landschaftsbildes, er braucht die spitze Klinge eines Vorfalls, also stolpert das Pferd. Zwei Männer treten aus dem Baumschatten, ein Anflug von Promessi Sposi und Bravi breitet sich aus, vielleicht heißen die beiden Grignapoco und Tanabuso. Entscheidend ist aber offenbar, daß sie völlig unabhängig voneinander sind und auch, anders als es für einen Augenblick scheinen mag, tatsächlich nur zwei, der Mann gegenüber ist kein Dritter, sondern für einen der beiden der jeweils andere. Werden sie jeder für sich bleiben, werden sie in Streit geraten, werden sie sich verbünden, um dem Gestürzten zu helfen oder werden sie sich verbünden, um über ihn herzufallen. Der Erinnerungsfaden des Reiters reißt an dieser Stelle. Als sich später das erinnerte Landschaftsbild als Täuschung erweist, fällt ein Verdacht auch auf die Episode des stolperndes Pferdes. Die erinnerte Wirklichkeit ist nicht verläßlicher als ein Traum und durchsetzt von Täuschungen und Erträumtem.
Das Pferd stolperte

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