Mittwoch, 18. Mai 2011

Steuermann

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Zwischen Juli 1980 und Anfang September 1883 machte ich als Steuermann auf einem zwischen Buenos Aires und Valparaiso hin- und herfahrenden Frachter, der auch für die Beförderung einer gewissen Zahl von Passagieren ausgerüstet war, ein halbes Dutzend Touren. An die letzte Fahrt entsinne ich mich deutlicher als an alle anderen, obwohl ich sie lieber als jede andere vergessen hätte. Schon kurze Zeit, nachdem wir das Mündungsgebiet des Plataflusses verlassen hatten, kamen Sturm und hoher Seegang auf, wie wir es die Jahre zuvor nicht erlebt hatten. Die Tage darauf ist es zum Fürchten gewesen, wie die Wellen sich aus der Tiefe hervorhoben und wieder zurückgerollt kamen. Nur schwarzes Wasser, tagaus und tagein, und das Schiff, wie es schien, die ganze Zeit auf demselben Fleck. Die Reisenden waren jetzt größtenteils seekrank. Erschöpft, mit glasigem Blich oder halbgeschlossenen Augen lagen sie in ihren Kojen. Andere hockten am Boden, standen stundenlang an eine Wand gelehnt oder wankten wie Schlafwandlern in den Gängen herum. Wohler wurde ihnen allen erst wieder, als wir in die Magellanstraße hineinfuhren. Das Schiff war langsamer geworden. Man spürte eine schwache Brise an der Stirn, und indem sie der Küste sich annäherten, wuchs eine von Schnee bedeckte Gebirgskette vor ihnen aus den jetzt von der Morgensonne durchdrungenen Nebeln heraus. Für eine kurze Zeit hatte ich das Steuer einem der Matrosen überlassen. Als ich zurückkam, fand ich aber nicht ihn, sondern einen Fremden vor. Was machst Du, bin ich nicht Steuermann? rief ich. Du? fragte der dunkle hoch gewachsene Mann und strich sich mit der Hand über die Augen, als verscheuche er einen Traum. Ich war am Steuer gestanden in der dunklen Nacht, die schwachbrennende Laterne über meinem Kopf, und nun war dieser Mann gekommen und wollte mich beiseiteschieben. Und da ich nicht wich, setzte er mir den Fuß auf die Brust und trat mich langsam nieder, während ich noch immer an den Stäben des Steuerrades hing und beim Niederfallen es ganz herumriß. Da aber faßte es der Mann, brachte es in Ordnung, mich aber stieß er weg. Doch ich besann mich bald, lief zu der Luke, die in den Mannschaftsraum führte und rief: Mannschaft! Kameraden! Kommt schnell! Ein Fremder hat mich vom Steuer vertrieben! Langsam kamen sie, stiegen auf aus der Schiffstreppe, schwankende müde mächtige Gestalten. Bin ich der Steuermann? fragte ich. Sie nickten, aber Blicke hatten sie nur für den Fremden, im Halbkreis standen sie um ihn herum und, als er befehlend sagte: Stört mich nicht, sammelten sie sich, nickten mir zu und zogen wieder die Schiffstreppe hinab. Was ist das für Volk! Denken sie auch oder schlurfen sie nur sinnlos über die Erde?

Keine Kommentare: