Freitag, 13. Mai 2011

Levitation

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Oh see the men of action falling back
Wie die anderen Schriftsteller des englischen 17. Jahrhunderts führt auch Browne ständig seine gesamte Gelehrsamkeit mit sich, einen ungeheuren Zitatenschatz, arbeitet mit weit ausufernden Metaphern und Analogien und baut labyrinthische, bisweilen über ein, zwei Seiten sich hinziehende Satzgebilde, die Prozessionen oder Trauerzügen gleichen in ihrer schieren Aufwendigkeit. Zwar gelingt es ihm, unter anderem wegen dieser enormen Belastung nicht immer, von der Erde abzuheben, aber wenn er, mitsamt seiner Fracht, auf den Kreisen seiner Prosa höher und höher getragen wird wie ein Segler auf den warmen Strömungen der Luft, dann ergreift selbst den heutigen Leser noch ein Gefühl der Levitation. Ganz allgemein sind die Menschen des Geistes und der Kunst für das Erlebnis der Levitation empfänglicher als die Männer der Tat. Nehmen wir Alexander den Großen, es wäre denkbar, daß er trotz der kriegerischen Erfolge seiner Jugend, trotz der auf Veränderung der Welt gerichteten Kräfte, die er in sich fühlte, am Hellespont stehn und ihn nie überschritten hätte, und zwar nicht aus Furcht, nicht aus Unentschlossenheit, nicht aus Willenschwäche, sondern aus Erdenschwere. Er war Alexander der Große und hat den Hellespont überschritten. Heute aber – das kann niemand leugnen – heute gibt es keinen großen Alexander. Zu morden verstehen zwar manche; auch an Geschicklichkeit, mit der Lanze über den Bankettisch hinweg den Freund zu treffen, fehlt es nicht; und vielen ist Macedonien zu eng, so daß sie Philipp, den Vater verfluchen – aber niemand, niemand kann nach Indien führen. Schon damals waren Indiens Tore unerreichbar, aber ihre Richtung war durch das Königsschwert bezeichnet. Heute sind die Tore ganz anderswohin und weiter und höher vertragen; niemand zeigt die Richtung; viele halten die Schwerter, aber nur, um mit ihnen zu fuchteln; und der Blick, der ihnen folgen will, verirrt sich.

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