Aus dem Schattenreich
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Vor der Rückfahrt wärmte ich mich in der Gaststube der Herberge ein wenig auf. Am anderen Ende der Stube saß eine bucklige Rentnerin in dem trüben, durch die Butzenscheiben einfallenden Licht. Sie trug eine wollene Haube, einen Wintermantel aus dickem Noppenstoff und fingerlose Handschuhe. Die Bedienerin brachte ihr einen Teller mit einem großen Stück Fleisch. Die Alte schaute es eine Weile an, dann holte sie aus ihrer Handtasche ein scharfes Messerchen mit einem Holzgriff und begann, es aufzuschneiden. Ein paar Schritte entfernt nur lag der kleine Hafen, es war schon gegen Abend. Es glitten die Boote vorüber. Ich rief eines. Ein alter großer weißbärtiger Mann war der Bootsführer. Ich zögerte ein wenig auf der Landungsstufe. Er lächelte, ihn anschauend stieg ich ein. Er zeigte auf das äußerste Ende des Bootes, dort setzte ich mich. Gleich aber sprang ich auf und sagte: Große Fledermäuse habt ihr hier, denn große Flügel waren mir um den Kopf gerauscht. Sei ruhig, sagte er schon mit der Bootsstange beschäftigt und wir stießen vom Lande, daß ich auf mein Bänkchen fast hinschlug. Statt dem Führer zu sagen, wohin ich fahren wolle, fragte ich nur, ob er es wisse; nach seinem Kopfnicken zu schließen wußte er es. Das war mir eine ungemeine Erleichterung, ich streckte die Beine aus und lehnte den Kopf zurück, aber immer behielt ich den Führer im Auge und sagte mir: Er weiß, wohin Du fährst; hinter dieser Stirn weiß er es. Und seine Ruderstange stößt er nur deshalb ins Meer um Dich dorthin zu bringen. Und zufällig riefst Du gerade ihn aus der Menge und zögertest noch einzusteigen. Ich schloß ein wenig die Augen vor lauter Zufriedenheit, wollte den Mann aber wenigstens hören, wenn ich ihn nicht sah, und fragte: In Deinem Alter solltest Du wohl nicht mehr arbeiten. Hast Du denn keine Kinder? Nur Dich, sagte er, Du bist mein einziges Kind. Nur für Dich mache ich noch diese Fahrt, dann verkaufe ich das Boot, dann höre ich zu arbeiten auf. Ihr nennt hier die Passagiere Kinder, fragte ich. Ja, sagte er, das ist hier Sitte. Und die Passagiere sagen uns Vater. Das ist merkwürdig, sagte ich, und wo ist die Mutter? Dort, sagte er, im Verschlag. Ich richtete mich auf und sah, wie aus dem rundbogigen kleinen Fenster des Verschlags, der in der Mitte des Bootes aufgebaut war, eine Hand grüßend sich ausstreckte und das starke Gesicht einer Frau, von einem schwarzen Spitzentuch eingerahmt, dort erschien. Sie glich auf versteckte Art der buckligen Alten aus der Gaststube und war doch schön wie durch einen Jungbrunnen gegangen. Mutter? fragte ich lächelnd. Wenn Du willst – , sagte sie. Du bist aber viel jünger als der Vater? sagte ich. Ja, sagte sie, viel jünger, er könnte mein Großvater sein und Du mein Mann. Weißt Du, sagte ich, es ist so erstaunlich, wenn man allein in der Nacht im Boot fährt und plötzlich ist eine Frau da.
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