Freitag, 13. Mai 2011

Wir bauen eine Stadt

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Man könne gut sehen, wie wir, im Gegensatz etwa zu den Vögeln, die Jahrtausende hindurch immer dasselbe Nest bauen, dazu neigen, unsere Unternehmungen voranzutreiben, weit über jede Vernunftgrenze hinaus. Man müßte einmal einen Katalog unserer Bauwerke erstellen, in dem sie ihrer Größe nach verzeichnet wären, dann würde man sogleich begreifen, daß die unter dem Normalmaß der domestischen Architektur rangierenden Bauwerke es sind - die Feldhütte, die Eremitage, das Häuschen des Schrankenwärters, der Aussichtspavillon, die Kindervilla im Garten -, die wenigstens einen Abglanz des Friedens uns versprechen, wohingegen von einem Riesengebäude wie beispielsweise dem Brüsseler Justizpalast auf dem ehemaligen Galgenberg niemand, der bei rechten Sinnen ist, behaupten kann, daß er ihm gefalle. Die Kindervilla im Garten: schon den Kleinsten wird das Bauen als unerläßliche Voraussetzung unseres Heimischwerdens in der Welt spielerisch und musikalisch nahegebracht, Wir bauen eine Stadt. Nur wenige Jahre weiter, in der Schule, lernen sie dann das Leben zu lieben als Leben in Unserer kleinen Stadt. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, und doch heißt es, bereits einem amerikanischen Baumeister der Pionierzeit seien erste Bedenken gekommen, Bedenken, die sich als Müdigkeit äußerten oder die er als Müdigkeit ausgab. Es kamen einige Leute zu ihm, so wird berichtet, und baten ihn eine Stadt für sie zu bauen. Er sagte, sie wären viel zu wenige, sie hätten Raum in einem Haus, für sie würde ich keine Stadt bauen. Sie aber sagten, es würden noch andere nachkommen und es seien doch Eheleute unter ihnen, die Kinder zu erwarten hätten, auch müßte die Stadt nicht auf einmal gebaut, sondern nur im Umriß festgelegt und nach und nach ausgeführt werden. Er fragte, wo sie die Stadt aufgebaut haben wollten, sie sagten, sie würden ihm den Ort gleich zeigen. Sie giengen mit ihm den Fluß entlang, bis sie zu einer genug hohen, zum Fluß hin steilen, sonst aber sanft sich abflachenden und sehr breiten Erhebung kamen. Sie sagten, dort oben wollten sie die Stadt gebaut haben. Es war dort nur schütterer Graswuchs, keine Bäume, das gefiel ihm, der Abfall zum Fluß schien ihm aber zu steil und er machte sie darauf aufmerksam. Sie aber sagten, das sei kein Schaden, die Stadt werde sich ja auf den andern Abhängen ausdehnen und genug andere Zugänge zum Wasser haben, auch würden sich vielleicht im Laufe der Zeiten Mittel finden, den steilen Abhang irgendwie zu überwinden, jedenfalls solle das kein Hindernis für die Gründung der Stadt an diesem Orte sein. Auch seien sie jung und stark und könnten mit Leichtigkeit den Abhang erklettern, was sie ihm gleich zeigen wollten. Sie taten es; wie Eidechsen schwangen sich ihre Körper zwischen den Rissen des Felsens hinauf, bald waren sie oben. Er ging auch hinauf und fragte sie, warum sie gerade hier die Stadt gebaut haben wollten. Zur Verteidigung schien ja der Ort nicht besonders geeignet, von der Natur geschützt war er nur gegenüber dem Fluß und gerade hier war ja der Schutz am wenigsten notwendig, eher wäre hier freie und leichte Ausfahrtmöglichkeit zu wünschen gewesen; von allen andern Seiten her war aber die Hochebene ohne Mühe zugänglich, deshalb also und auch wegen ihrer großen Ausdehnung schwer zu verteidigen. Außerdem war der Boden dort oben auf seine Ertragfähigkeit hin noch nicht untersucht und vom Unterland abhängig bleiben und auf Fuhrwerkverkehr angewiesen sein, war für eine Stadt immer gefährlich, gar in unruhigen Zeiten. Auch ob genügendes Trinkwasser oben zu finden war, war noch nicht festgestellt, die kleine Quelle die man ihm zeigte, schien nicht zuverlässig. Du bist müde, sagte einer von ihnen, Du willst die Stadt nicht bauen. Müde bin ich, sagte er und setzte sich auf einen Stein neben die Quelle. Sie tauchten ein Tuch in das Wasser und erfrischten damit sein Gesicht, er dankte ihnen. Dann sagte er, daß er einmal allein die Hochebene umgehen wolle und verließ sie; der Weg dauerte lang; als er zurückkam, war es schon dunkel; alle lagen um die Quelle und schliefen; ein leichter Regen fiel. Er beschloß fortzugehn und kletterte den Abhang zum Fluß hinab. Aber einer von ihnen war erwacht und hatte die andern geweckt und nun standen sie oben am Rand und er war erst in der Mitte und sie baten und riefen ihn. Da kehrte er zurück, sie halfen ihm und zogen ihn hinauf: Er versprach ihnen jetzt, die Stadt zu bauen. Sie waren sehr dankbar, hielten Reden an ihn, küßten ihn. So also ist Unsere kleine Stadt entstanden und erbaut worden. Auf die vom Baumeister aufgeworfene Frage der Verteidigung sind die Stadtbauer erst gar nicht eingegangen. Das mochte in Amerika zu der damaligen Zeit angehen, anrückende feindliche Heere waren nicht zu erwarten und die wilden Stämme oder marodierende Banden fühlten sich einer veritablen Stadt nicht gewachsen. In der Alten Welt dagegen war eine Stadt vor allem ein befestigter Platz, der Bau der Städte wurde fortwährend vom Festungsbau übertrumpft. Um gegen jeden Einbruch der Feindesmächte Vorkehrungen zu treffen, war man gezwungen, in sukzessiven Phasen sich stets weiter mit Schutzwerken zu umgeben, so lange, bis die Idee der nach außen sich verschiebenden konzentrischen Ringe an ihre natürlichen Grenzen stieß. Das durch die rapide industrielle und kommerzielle Entwicklung eingeleitete Wachstum einer Stadt wie etwa Antwerpen hätte über das alte Stadtgebiet hinaus hätte es erfordert, die Linie der Forts um drei Meilen weiter noch hinauszulegen, wodurch sie freilich mehr als dreißig Meilen lang geworden wäre, mit der Folge daß die gesamte Armee des Landes nicht ausgereicht hätte, um eine adäquate Besatzung für diese Anlage zu stellen. Wen mag da, wenn er es vorausahnte, nicht Müdigkeit überkommen haben. So gleichsam auf natürliche Weise dem sinnlos gewordenen Festungsbau entronnen konnten sich die Stadtagglomerationen wie fahle Kalksteingebilde, eine Art von Exkreszenz, bis zum Horizont auswachsen, nun freilich den Luftangriffen schutzlos ausgeliefert. Es bleibt nichts, als das Weltall zur Festung auszubauen.

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