Freitag, 11. März 2011

Seidenbücherwurm

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Wiederholt habe er bei seinem Anblick, so der Besucher, an die aschgraue Seidenraupe, Bombyx mori, denken müssen, sei es aufgrund der Art, wie er Stückchen für Stückchen, die ihm vorgesetzten Speisen vertilgte, sei es, weil er aus dem Halbschlummer, der ihn nach der Beendigung des Mittagsmahls überkam, unvermittelt zu neuem, von elektrischer Energie durchzucktem neuen Leben erwachte und mit flatternden Händen gleich einem aufgescheuchten Falter in seiner Bibliothek herumhuschte und die Staffeleien und Leitern auf und ab kletterte um die eine oder andere Kostbarkeit aus den Regalen zu holen. Ähnlich unablässig wie die das frische Maulbeerlaub zernagenden Seidenwürmern und ihren feinen Faden fortspinnenden Seidenwürmer bewegten sich die Bücher an den Wänden voran und verlangten nach ständig neuer Unterbringung. Er hatte, obwohl ihn auch solche kleinen Unternehmungen schon in die äußerste Panik versetzen konnten, drei neue Bücherbretter bestellt, den seine Bücher häuften sich. Der Tischler hatte die Maße abgenommen und versprochen in einigen Tagen die Bretter zu bringen. Aber er brachte sie nicht und er selbst vergaß die Sache, schon weil er in diesen Tagen oft fort und außer Hauses war. Erst nach einem Monat erinnerte er sich daran und hielt sich einmal bei dem Meister auf, den er noch aus seinen Kindertagen kannte. Und schon wieder vergaß er die Bücherbretter völlig und sah sich als Knaben zu Füßen seiner Tante sitzen, die ihm von dem ersten großen Ball erzählte, den sie als junges Mädchen besucht hatte in Begleitung ihrer Mutter. Viele Meilen fuhr man nach diesem Ball heimwärts durch eine schneehelle, vor Kälte klirrende Winternacht, bis auf einmal die Kutsche einhielt bei einer Gruppe dunkler Gestalten, die, wie es sich zeigte, dabei waren, einen Selbstmörder zu begraben an einem Kreuzweg.

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