Mittwoch, 16. März 2011

Türkischer Honig

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und schaue mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes unbrauchbares Gerät ineinander verfahren verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Wir haben den Hof bewohnt, aber nicht mein Vater hat die Landwirtschaft betrieben, in einem der Seitenflügel hauste der jeweilige Pächter. Mein Vater war Baumeister, fast sämtliche größeren Bauten in der Umgebung, das Schulhaus, das Stationsgebäude, und das Wasserwerk, das den ganzen Ortsbezirk mit Strom versorgte, waren an seinem Reißbrett entworfen und unter seiner Aufsicht ausgeführt worden. In seiner Jugend hatte er achtzehn Monate in Konstantinopel gearbeitet, von wo er die Kunst des Kaffeesiedens mitgebracht hatte. Noch nach seinem Tod verbrachte meine Mutter, vielleicht zum Andenken an ihn, ihre Tage vorwiegend beim Kaffeesieden, das sie auf die türkische Art vornahm. So nimmt es denn auch nicht Wunder, wenn ein Türke namens Ekrem für lange Zeit die Hofpacht innehatte. An den Abenden stellte er in der Küche große Mengen türkischen Honig her, den er dann, neben anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf den Jahrmärkten verkaufte. Möglicherweise ist es auch der Ekrem gewesen, der meiner Mutter das Mokkasieden beigebracht und auf seinen Wegen den schwarzen Kaffee aufgetrieben hat, über den sie auch in der nötigsten Zeit stets verfügte. Nun alles längst abgesunken, ich bin zurückgekehrt. Ein zerrissenes Tuch einmal im Spiel um eine Stange gewunden hebt sich im Wind. Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Bewohnt einer meiner Brüder den Hof, hat der Pächter den Seitenflügel verlassen? Rauch kommt aus dem Schornstein, das Abendessen wird gekocht. Ist Dir heimlich, fühlst Du Dich zuhause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Baumeisters Sohn. Und ich wage nicht an die Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, daß ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören herüber aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer der sein Geheimnis wahren will.

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