Samstag, 5. März 2011

Sorgen einer Mutter

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Ich beobachtete ihn, an einem trostlosen Samstagnachmittag, als draußen der Herbstregen herunterströmte, wie er am Ende eines Korridors Feuer zu legen versuchte an einem Stapel Zeitungen, der dort aufgeschichtet war auf dem Steinboden neben der offenen, in einen Hinterhof hinausführenden Tür. In dem grauen Gegenlicht sah ich seine kleine, zusammengekauerte Gestalt und die Flämmchen, die an den Rändern der Zeitungen züngelten, ohne daß es recht brennen wollte. Als ich ihn zur Rede stellte, sagte er, am liebsten wäre ihm ein riesiges Feuer und an Stelle des Schulgebäudes ein Haufen Trümmer und Asche. Von da an habe ich mich um ihn gekümmert und ihn in Schutz genommen vor den Mitschülern. Am zweiten oder dritten Elternbesuchstag ist es gewesen, daß er mich voller Stolz über das Freundschaftsverhältnis, in dem er zu mir, dem um einiges Älteren, stand, seiner Mutter Adela vorstellte, die damals kaum mehr als dreißig Jahre gewesen sein dürfte und sehr glücklich darüber war, daß ihr junger Sohn, nach den anfänglichen Schwierigkeiten, in mir einen Beschützer gefunden hatte. Trotzalldem kam er in den ersten Gymnasialklassen sehr schlecht fort. Für seine Mutter, die so schöne wie schweigsam stolze, ihr unruhiges Wesen immerfort mit äußerster Kraft beherrschende Frau, war das eine Qual. Sie hatte von seinen Fähigkeiten große Vorstellungen, die sie aber aus Scham niemandem eingestand und für deren Besprechung und Bekräftigung sie deshalb auch keinen Vertrauten hatte, umso quälender waren für sie seine Mißerfolge, die allerdings nicht verschwiegen werden konnten, sich gewissermaßen von selbst eingestanden und eine widerliche Menge Vertrauter erzeugten, nämlich das ganze Professorenkollegium und die Mitschülerschaft. Er wurde ihr ein trauriges Rätsel. Sie strafte ihn nicht, sie zankte nicht; daß er es an Fleiß wenigstens nicht allzusehr fehlen ließ, sah sie; zuerst glaubte sie an eine Verschwörung der Professoren gegen ihn und diesen Glauben hat sie niemals ganz verlassen, aber seinen Übertritt in ein anderes Gymnasium scheute sie meinethalben. Er aber lebte unter ihrem traurig fragenden Blick sein unbefangenes Kinderleben weiter. Er hatte keinen Ehrgeiz; da er nicht durchfiel, war er zufrieden. Ihre Sorge aber war gänzlich umsonst. Nicht nur, daß seine Leistungen in den höheren Klassen sich erheblich besserten, auch die Universität hat er im Fach Astrophysik, die schon bald seine Leidenschaft geworden war, glänzend abgeschlossen. Er ist dann an ein astrophysisches Forschungsinstitut in Genf gegangen, wo ich ihn mehrfach noch besucht habe und Zeuge geworden bin, wenn wir miteinander aus der Stadt hinaus- und am Seeufer entlangwanderten, wie seine Gedanken, gleich den Sternen selber, allmählich aus den sich drehenden Nebeln seiner physikalischen Phantasien hervorkamen. Adela, die schöne und stolze, habe ich dagegen nicht mehr wiedergesehen, aus eigener Schuld. Sie ist, nachdem der Sohn sein Studium absolviert und die Forschungsarbeit aufgenommen hatte, mit einem amerikanischen Entomologen namens Willoughby nach North Carolina gegangen.

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