Donnerstag, 29. September 2011

Internationaler Kaffeehausvergleich

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Ich setzte mich in eine der Bars an der Riva, trank meinen Morgenkaffee, studierte den Gazzettino und machte mit einige Notizen zu einem Traktat über König Ludwig in Venedig. Der Kaffee ist eigentlich immer gut in Italien. In Paris, vor wenigen Wochen, war ich zuerst gegen das Café Biard, weil ich glaubte, daß man dort nur schwarzen Kafe bekomme. Es zeigte sich, daß auch Milch zu haben war, wenn auch nur mit schlechtem schwammigen Gebäck. Als ich in einem guten Caffeehaus bei der Station der Versailler Dampfbahn den gelungenen Versuch gemacht hatte, Apfelstrudel und Mandelgebäck aus einer Bäckerei unter den Augen eines in der Tür lehnenden Kellners aufzuessen, führte ich das auch im Café Biard ein und fand, daß man dadurch abgesehen vom Genuß des feinen Gebäcks zum deutlichern Genuß des eigentlichen Vorteils dieser Cafee kommt, nämlich des vollständigen Unbeachtetseins bei ziemlich leerem Lokal, guter Bedienung, nahe allen Menschen hinter dem Pult und vor der immer geöffneten Ladentür. Nur muß man sich damit abfinden, wenn der Boden gekehrt wird, was wegen des unmittelbar von der Gasse hereinkommenden, an dem Pult sich hin und her schiebenden Besuchs häufig geschieht und wobei auch von der Gewohnheit nicht abgewichen wird, die Gäste nicht zu beachten. Das Pult brachte mit im übrigen in Erinnerung, daß der Kaffee in Italien zwar so gut wie immer von herausragender Qualität, aber oft nicht leicht zu erlangen ist. Gestern noch hatte ich ebenso entschlossen wie verzweifelt versucht, am von einem wahrhaft höllischen Lärm umbrandeten Stehbuffet in der Ferrovia einen Capuccino zu trinken. Als eine Art feste Insel ragte das Buffet heraus aus der wie in einem Ährenfeld schwankenden Menge der Menschen. Aus Leibeskräften mußte man zunächst, wenn man wie ich eines Billets ermangelte, sein Begehren zu den auf erhobenen Posten sitzenden Kassiererinnen hinaufschreien, die nur mit einer Art Schürze bekleidet, mit lockigem Haar und halbgesenkten Blick in völliger Ungerührtheit über den Häuptern der Bittsteller schwebten und willkürlich, wie mir schien, irgendeinen der von den einander durchdringenden und sich überschlagenden Stimmen vorgebrachten Wünsche herausgriffen, sodann den Preis des Verlangten hinausriefen in den Raum und huldvoll und verächtlich zugleich einem das Zettelchen und das Wechselgeld aushändigten. Einmal im Besitz des inzwischen einem schon lebenswichtig erscheinenden Billets mußte man sich in die Mitte der Cafeteria hinüberkämpfen, wo die männlichen Angestellten dieses ungeheuren Gastronomiebetriebs hinter einem kreisförmigen Buffet mit Todesverachtung geradezu dem andrängenden Volk gegenüberstanden und ihre Arbeit mit einer Gelassenheit erledigten, die vor dem Hintergrund der allgemeinen Panik die Wirkung eines zerdehnten Zeitablaufs hervorbrachte. Der Eindruck, daß hier Gericht gehalten wurde über ein korrumpiertes Geschlecht, wurde noch dadurch verstärkt, daß den weißgekleideten, würdevollen Männern, die im Inneren des Kreises offensichtlich auf einer erhöhten Plattform sich befanden, das Buffet nur etwa bis zur Hüfte reichte, den Außenstehenden hingegen bis unter die Schultern, wo nicht gar bis zum Kinn. Mein Capuccino wurde serviert, und einen Augenblick war mir zumut, als hätte ich mit dieser Auszeichnung den bisher bedeutendsten Sieg meines Lebens errungen. Er schmeckte, wie nicht anders erwartet, hervorragend.

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