Montag, 20. Dezember 2010

Kommentar Lehrstelle

Gleichzeitig mit dem Umzug aus dem uns aus der Erzählung Ritorno in Patria aber auch aus den Moments musicaux bekannten Heimatdorf in die nächstgelegene Kleinstadt sieht sich der noch junge Selysses gezwungen, eine Lehrstelle anzutreten, die Kindheit ist für ihn unwiderruflich vorbei. Detailliert und wahrhaft eindrücklich ist der morgendliche Weg zur Arbeitsstelle geschildert. Angesichts seiner notorischen Unlust, sich mit der arbeitenden Bevölkerung zu beschäftigen, überläßt Sebald die Darstellung des Bürolebens aber gern Kafka, der als Kaufmannsohn und Versicherungsbeamter über die nötigen schmerzlichen Erfahrungen verfügt. Wie immer in fragwürdiger Umgebung, sei es in Schankstuben, sei es in Büros, blüht die Liebe auf, und so hatte der Lehrjunge oft Lust, die Hand unseres Fräuleins, eine lange schwache, eingetrocknete holzfarbige Hand, wenn sie nachlässig und selbstvergessen auf dem Pult lag, zu streicheln oder gar zu küssen - dies wäre das Höchste gewesen. Das Büroleben aber geht seinen Gang und hängt in besonderem Maße an dem Geschäftsdiener, der allerdings, während rings um ihn im Geschäft die ungeheuerlichsten Fehler gemacht wurden, ohne daß man ihn eingreifen ließ, die Verzweiflung darüber hinunterwürgen und überdies an seine schwere Arbeit gefesselt bleiben mußte, obwohl er doch viel besser als der Buchhalter die Bücher hätte führen, besser als der Kommis die Kundschaft hätte bedienen können.

Die Lehrstelle

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