Mittwoch, 1. Dezember 2010

Endlichkeit

Mit feiner Ironie

La mia allegrezz' è la maninconia

Ob er den Autor nun schätzt oder nicht, jeder Sebaldianer wird zugreifen, wenn Handke sagt, natürlich wolle der Künstler nicht bewundert, sondern mit feiner Ironie betrachtet werden, denn sogleich ist ihm klar: wenn das denn der Wunsch der Künstler ist, so wird er nirgendwo vollständiger und schöner erfüllt als in Sebalds dichterischem Werk und nirgendwo schöner wiederum, ließe sich ergänzen, als im Falle Franz Kafkas. Allerdings müßte der in Handkes Aussage anklingende Gegensatz von Bewunderung und Ironie eher eingeschliffen werden zu der Neufassung, der Künstler wolle mit feiner Ironie bewundert werden, denn auf keinen Fall kann und soll die gemeinte Ironie von der Bewunderung entbinden oder gar zu einer herablassenden Perspektive von oben verhelfen, auch um die so scheußlich grassierende gleiche Augenhöhe kann es nicht gehen, wir befinden uns in einem perspektivefreien, nivellierten Raum, dem unserer aller Endlichkeit. Mit dem schleichenden Vertrauensverlust der großen theologischen Antworten auf unsere Endlichkeit haben sich viele Erwartungen auf die Kunst verlagert, Erwartungen und Hoffnungen, denen sie aber nicht gerecht werden kann und die sie überfordern. Die Melancholie mag man als Ausdruck der Überforderung unseres Alleinseins in der Endlichkeit, oder, mit einem Buchtitel, als Fatigue d’etre soi ansehen, eine Erschöpfung, die wiederum in der Kunst gültige Ausdrucksformen findet. Ironie ist in diesem Zusammenhang dann zu verstehen als die sich aufraffende, munter werdende und dialogisch gestimmte Melancholie. Der Wunsch nach ironischer Betrachtung entspringt weniger einer Eigenart der Künstlerseele als der Situation der Kunst in der Moderne.

Zugunsten seiner Qualifizierung als Melancholiker übersehen viele den feinen Ironiker Sebald, der er durchgehend ist, ganz besonders aber in den Schwindel.Gefühlen, wo er Stendhal, Kafka und sich selbst - oder doch seinen wandernden Icherzähler Selysses - in ein die gesamte Gestalt umhüllendes ironisches Gewand kleidet. Ironie, zumindest diejenige feinerer Art, ist immer zweipolig und verschont am wenigsten sich selbst und ihren Ursprungsort. Wenn Kafka ein besonderes Quantum an Ironie auf sich zieht, so zum einen wegen der besonderen Bewunderung, die ihm zusteht, und zum anderen vielleicht deswegen, weil er wie kein anderer Dichter seines Rangs der Dichter des nicht zu Ende Geführten ist. Nicht nur seine die Romane sind sämtlich unabgeschlossen geblieben, in seinen Tagebüchern, Blättern und Heften finden sich in großer Zahl glanzvolle Prosafragmente, die es nicht bis zur abgeschlossenen Erzählung geschafft haben, und wenn wir diese Fragmente besonders lieben, so wohl deswegen, weil alles nicht Abgeschlossene eine Art von Vertagung der Endlichkeit darstellt. Wenn Walter Benjamin den Amerikaroman als dasjenige Werk Kafkas, das seinen Schaffenshintergrund am gründlichsten ausleuchtet, so kann es kaum ein Zufall sein, wenn dieses Werk zugleich der mit Vorsprung am wenigsten geliebte unter den drei Romanen ist, der es auch nicht annähernd zur Sprichwörtlichkeit von Proceß und des Schloß gebracht hat. Jede Antwort, jede Erklärung schließ eine Tür und verschärft nur das Trauma der Endlichkeit, die rasende, Fortschritt genannte Abfolge wissenschaftlicher Antworten, mit der wir leben müssen, bestätigt das eindrücklich. Kafka verletzt und liebkost die Welt auf eine nur ihm eigene, immer vorläufige Weise, Gesten, mit dem Ausdruck Benjamins, die in ihrer Rätselhaftigkeit die Endlichkeit für einen Augenblick aushebeln, selbst dann, wenn sie sie in so krasser Form thematisieren wie in der Miniaturerzählung Das nächste Dorf.

Es wurde angeregt, die Allegrezza der Melancholie wahrzunehmen, und vorgeschlagen, die Schwindel.Gefühle als eine Unternehmung zur Aufheiterung Kafkas zu lesen. Sebald und Kafka tanzen einen ironisch-melancholischen Pas de deux, dem Leser, dem Betrachter zuckt es in den Füßen, er beginnt leise die Trommel zu schlagen im gleichen Takt und gerät so selbst in den ironischen Bezirk. Er muß sich aber keine Selbstvorwürfe machen über seinen Vorwitz im Umgang mit den Großen, Handkes Aufforderung zur ironischen Betrachtung gilt nicht speziell für den Verkehr von Künstlern und Autoren untereinander, sofern sie hier überhaupt gelten kann, denn kaum etwas ist so unwandelbar wie die Bosheit, mit der die Literaten hinterrücks übereinander reden. Wenn gar, wie hier angenommen, die Ironie als Tapete im Innenraum der Endlichkeit anzusehen ist, befinden wir uns ohnehin im wohldefinierten und ultimativen Raum der Gleichheit, in den die melancholische Ironie als freundliche Wärme zurückstrahlt.

Zum Heiligen gehört die Anfechtung, die Gottgläubigkeit war sich ihrer Sache nie sicher, ansonsten hätte das Mittelalter die Melancholie wohl nicht als Mönchskrankheit ansehen können. Die Beziehung von Mensch zu Gott im Gebet aber kann man sich nur schwer anders als ironiefrei vorstellen. Auch die Sprache der Bibel kennt zwar Spott und Hohn als Thema, aber kaum feine Ironie als Ausdrucksweise. Sobald aber die Heiligen weltlichen Züge annehmen, werden sie von Sebald mit der gleichen freundlichen Ironie empfangen wie die Dichterkollegen. Das gilt für die spätgeborenen Heiligen wie Mrs. Ashbury, die in den Himmel auffahrend im Plafond stecken bleibt, ebenso wie für klassische Heilige, vorneweg für den heiligen Georg, der sich bei Grünewald, in der Sicht Sebalds, anschickt aus dem Rahmen des Mittelalters zu treten, und von dem bei Pisanello, wieder in den Worten Sebalds, etwas herzbewegend Weltliches ausgeht. Wenn Pisanello San Giorgio obendrein mit der angesichts der Umstände eigentlich unpassenden, ja geradezu extravaganten Kopfbedeckung eines Strohhutes ausstaffiert hat, so hat womöglich er selbst bereits das Geschäft der feinen Ironie begonnen, das vom Dichter nur noch fortzuführen war.

Der Leser, dem es beim ironisch-melancholischen Pas de deux in den Füßen zuckt und der leise beginnt die Trommel zu schlagen im gleichen Takt, mag die Lust ankommen nach weiteren Tanzstückchen, und so hat er sich im Schattenreich eine ganze Anzahl zusammengestellt. Schattenreich spielt an auf die Ausstellung Wandernde Schatten, Sebalds Unterwelt, eine Unterwelt, in der Kafka wie kein zweiter vertreten ist. Schreibt Benjamin etwa, unter den Gebärden Kafkas begegne keine häufiger als die des Mannes, der den Kopf tief auf die Brust herunterbeugt, so kommen gleich der Cicerone in Verona oder der Portier in Ithaca in den Sinn, und es fragt sich, ob der Aufsatz Das bucklicht Männlein nicht allein über Kafka, sondern über beide Dichter verfaßt wurde.

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