Sonntag, 14. November 2010

Kommentar Kriminalfall

Die schönsten Passagen in Kriminalromanen sind oft die der Annäherung an einen Tatort. Marlowe steigt in das Oldsmobil und fährt durch die Stadt der Engel oder hinaus in die umliegenden Berge, in ein Villenviertel oder ein Gewerbegebiet, er betritt das Hochhaus mit heruntergekommenen Büros oder ostentativem Glitzer, keine Antwort auf die Türglocke, aber die Tür ist gar nicht verschlossen, weiß er es zuerst oder aber wir, die Leiche ist unumgänglich. In Austerlitz nähert sich Selysses mit nicht weniger aufmerksamen und sorgfältigem Blick für die Umgebung dem Haus eines innerlich Zerstörten. Kafka entwendet den ihm fehlenden Text der Annäherung und lenkt ihn um in die Welt des gängigen Verbrechens, an einen Tatort. Die detektivische Arbeit beginnt. Wer hat den Advokaten ermordet und warum? Wurde er überhaupt ermordet? Ohne Frage lenkt Mrs. Monderry durch ihr Verhalten Verdacht auf sich. Aber ist sie vielleicht nicht doch eher ein Opfer? Wen fleht sie um Gnade an, um Gnade für wen und wofür? Was hat es auf sich mit dem Bäckerjungen, ist er entgegen dem ersten Anschein vielleicht ihr Komplize? Der schwierigste und immer enttäuschende Teil des Kriminalromans, die Auflösung, bleibt uns erspart. Zweifellos liegt das Geheimnis bei Kafka um einiges tiefer als üblich.

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