Sonntag, 7. November 2010

Der Arzt

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Ich war fest entschlossen, den Doktor zu fragen, ob er nicht vielleicht imstande wäre, die offene und immer größer werdende Brandwunde des alten Wirts zu heilen. Zu meiner Verwunderung war aber die Tür zum Ordinationszimmer geschlossen. Dennoch wagte ich es, einzutreten. Drinnen war alles getränkt in das tiefgrüne Sommerlicht, das durch den Lindenbaum vor dem Fenster hereinfiel. Es herrschte, wie es mir vorkam, eine endlose Stille. Der Doktor saß wie sonst auch auf seinem Drehsessel. Ich blieb wie angewurzelt stehen auf der Schwelle, er hatte mich nicht gehört, ich aber hörte, wie er leise vor sich hinsprach. Du sagst, daß du es nicht verstehst. Such es zu verstehn, indem du es Krankheit nennst. Es ist eine der vielen Krankheitserscheinungen, welche die Psychoanalyse aufgedeckt zu haben glaubt. Ich nenne es nicht Krankheit und sehe in dem therapeutischen Teil der Psychoanalyse einen hilflosen Irrtum. Alle diese angeblichen Krankheiten, so traurig sie auch aussehn, sind Glaubenstatsachen, Verankerungen des in Not befindlichen Menschen in irgendwelchem mütterlichen Boden; so findet ja auch die Psychoanalyse als Urgrund der Religionen auch nichts anderes als was die Krankheiten des Einzelnen begründet, allerdings fehlt heute die religiöse Gemeinschaft, die Sekten sind zahllos und meist auf Einzelpersonen beschränkt, aber vielleicht zeigt sich das so nur dem von der Gegenwart befangenen Blick. Solche Verankerungen, die wirklichen Boden fassen, sind aber doch nicht ein einzelner Besitz des Menschen, sondern in seinem Wesen vorgebildet und nachträglich sein Wesen (auch seinen Körper) noch weiter in dieser Richtung umbildend. Hier will man heilen?

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