Sonntag, 14. November 2010

Geduldsspiel

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Er ist meist im unteren Darf herumgegangen und hat den Leuten bei der Arbeit zugeschaut. Es kam nur selten vor, daß er selber ein Werkzeug in die Hand nahm und ein wenig im Hof oder im Garten herumstocherte. Es lag schon viele Jahre zurück, daß er nach und nach um den Verstand gekommen war. Es hatte damit angefangen, daß er sei8n Handwerk mehr und mehr vernachlässigte, Aufträge zwar noch annahm, aber nur zur Hälfte oder gar nicht mehr ausführte. Weitaus mehr als mit der Arbeit beschäftigte er sich mit einem Geduldspiel, einem billigen einfachen Spiel, nicht viel größer als eine Taschenuhr und ohne irgendwelche überraschende Einrichtungen. In der rotbraun angestrichenen Heizfläche waren einige blaue Irrwege eingeschnitten, die in eine kleine Grube mündeten. Die gleichfalls blaue Kugel war durch Neigen und Schütteln zunächst in einen der Wege zu bringen und dann in die Grube. War die Kugel in der Grube, dann war das Spiel zu Ende, wollte man es von neuem beginnen, mußte man die Kugel wieder aus der Grube schütteln. Bedeckt war das Ganze von einem starken gewölbten Glas, man konnte das Geduldspiel in die Tasche stecken und mitnehmen und wo immer man war, konnte man es hervornehmen und spielen. War die Kugel unbeschäftigt, so ging sie meistens, die Hände auf dem Rücken, auf der Hochebene hin und her, die Wege vermied sie. Sie war der Ansicht, daß sie während des Spieles genug mit den Wegen gequält werde und daß sie reichlichen Anspruch darauf habe, wenn nicht gespielt würde, sich auf der freien Ebene zu erholen. Manchmal sah sie gewohnheitsmäßig zu dem gewölbten Glase auf, doch ohne die Absicht, oben etwas zu erkennen. Sie hatte einen breitspurigen Gang und behauptete, daß sie nicht für die schmalen Wege gemacht sei. Das war zum Teil richtig, denn die Wege konnten sie wirklich kaum fassen, es war aber auch unrichtig, denn tatsächlich war sie sehr sorgfaltig der Breite der Wege angepaßt, bequem aber durften ihr die Wege nicht sein, denn sonst wäre es kein Geduldspiel gewesen. Der Eigentümer des Spiels ist dann in dem Jahr, in dem die Sägmühle abgebrannt ist, ins Spital eingeliefert worden, weil auf einmal kein Mensch mehr irgend etwas zu essen in ihn hineinbrachte. Aber auch im Spital hat er sich nicht halten lassen, sondern ist in der ersten Nacht auf und davon unter Hinterlassung eines Zettels, auf dem gestanden sein soll: Hochgeehrter Herr Doktor! Ich bin ins Mährische gegangen. Mit vorzüglicher Hochachtung ...

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