Montag, 15. November 2010

Kommentar Wilde

Schwer zu sagen, ob Kafkas Interesse an den Wilden auch ethnologischer oder ausschließlich literarischer Natur war. Besonders eindringlich hat er die Wilden des Nordens dargestellt. Von ihnen weiß man wenig. Sprechen kann man mit ihnen nicht. Die Sprache des Südens kennen sie nicht, sie haben kaum eine eigene. Unter einander verständigen sie sich ähnlich wie die Dohlen. Immer wieder, käme man ihnen nahe, hört man diesen Schrei der Dohlen. Die Lebensweise, die Einrichtungen der Menschen im Süden sind ihnen ebenso unbegreiflich wie gleichgültig. Oft machen sie Grimassen, dann dreht sich das Weiß ihrer Augen und Schaum schwillt aus ihrem Munde, doch wollen sie damit weder etwas sagen noch auch erschrecken; sie tun es, weil es so ihre Art ist. Was sie brauchen, nehmen sie. Die Wilden des Nordens bleiben verborgen hinter ihrer undurchdringlichen äußeren Fassade, hier haben wir es eher mit Wilden des Südens zu tun, und Teile ihres Geheimnisses öffnen sich dem ethnologischem Blick. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten bleiben die Erkenntnisse, da es sich um eine erdachte Population handelt, naturgemäß wertlos. Sebald beschäftigt sich in seiner Prosa kaum mit der Lebensweise von Naturvölkern, in Austerlitz allerdings lebt Novelli eine Zeitlang in der grünen Wildnis bei einem Stamm kleiner, kupferglänzender Leute, die eines Tages, ohne daß auch nur ein Blatt sich gerührt hätte, neben ihm aufgetaucht waren wie aus dem Nichts. Ihre Sprache, so wie Novelli sie darstellt, ähnelt auffällig der geschrieenen Sprache der Pirahās mit Wohngebiet am Maici, einem Nebenfluß des Marmelos, dieser wiederum ein Hauptnebenfluß des Madeira, der seinerseits in den Amazonas fließt. Daniel Everetts hat den Pirahās und ihrer Sprache eine ausführliche Monographie gewidmet
 Jene Wilden

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