Samstag, 6. November 2010

Wechselnde Beschäftigungen

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Ocupaciones raras

Es war auffallend, daß sämtliche Mitglieder der Familie andauernd in den Korridoren und Stiegenhäusern herumwanderten. Selten sah man sie, für sich oder beieinander, in einiger Gelassenheit sitzen. Sogar die Mahlzeiten nahmen sie meistens im Stehen ein. Die Arbeiten, die sie verrichteten, hatten durchweg etwas Plan- und Sinnloses an sich, schienen weniger der Ausdruck einer wie immer gearteten Alltäglichkeit als der einer absonderlichen Obsession beziehungsweise einer tiefen, chronisch gewordenen Verstörung. Edwin etwa zimmerte schon die längste Zeit an einem gut zehn Meter langen, dickbauchigen Schiff, obgleich er, wie er mit gegenüber beiläufig äußerte, weder vom Schiffbau eine Ahnung noch die Absicht hatte, mit dem unförmigen Kahn jemals in See zu stechen. Abgesehen davon erklärte er deutlich und mit Nachdruck, alles was über ihn erzählt wird, sei falsch, wenn es davon ausgehe, daß er als erster Mensch der Seelenfreund eines Pferdes gewesen sei. Sonderbar sei es, daß diese ungeheuerliche Behauptung verbreitet und geglaubt wird, aber noch viel sonderbarer, daß man die Sache leichtnimmt, sie verbreitet und glaubt, aber mit kaum mehr als einem Kopfschütteln sie auf sich beruhen läßt. Hier liegt ein Geheimnis, das zu erforschen eigentlich verlockender wäre als die Geringfügigkeit, die er wirklich getan habe. Was er getan habe, sei nur dieses: er habe ein Jahr lang mit einem Pferde gelebt derart, wie etwa ein Mensch mit einem Mädchen, das er verehrt, von dem er aber abgewiesen wird, leben würde, wenn er äußerlich kein Hindernis hätte, um alles zu veranstalten, was ihn zu seinem Ziele bringen könnte. Er habe also das Pferd Eleonor und sich selbst in einen Stall gesperrt und habe diesen gemeinsamen Aufenthaltsort immer nur verlassen, um die Unterrichtsstunden zu geben, durch die er die Unterrichtsmittel für sie beide verdiente. Leider waren dies immerhin fünf bis sechs Stunden täglich und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß dieser Zeitausfall den endgültigen Mißerfolg aller seiner Mühen verschuldet hat, mögen sich das die Herren, die er so oft um Unterstützung meines Unternehmens vergeblich bat und die nur ein wenig Geld hätten hergeben sollen für etwas, für das er mich so zu opfern bereit war, wie man ein Bündel Hafer opfert, das man zwischen die Mahlzähne eines Pferdes stopft, mögen sich das doch diese Herren wohl gesagt sein lassen.

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