Samstag, 6. November 2010

Der alte Lehrer

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Zumindest ein Viertel aller Unterrichtsstunden verwandte er auf die Vermittlung von Wissen, das im Lehrplan nicht vorgesehen war. Er brachte uns die Anfangsgründe des algebraischen Rechnens bei, und seine Begeisterung für die Naturlehre ging so weit, daß er einmal, zum Entsetzen der Nachbarschaft, einen Fuchskadaver, den er im Wald gefunden hatte, mehrere Tage lang auf seinem Küchenherd in einem alten Einmachtopf ausgekocht hat, um dann mit uns in der Schule ein richtiges Skelett zusammensetzen zu können. Gelesen haben wir nie in dem vorgesehenen, von ihm als lächerlich und verlogenbezeichneten Schullesebuch, sondern fast ausschließlich im Rheinischen Hausfreund, von dem er, auf eigene Rechnung, wie ich vermute, sechzig Exemplare angeschafft hatte. Und nun stehe ich vor meinem alten Lehrer. Er lächelt mir zu und sagt: Wie ist es denn? So lange ist es schon her, daß ich dich aus meinem Unterricht entlassen habe. Hätte ich nicht ein unmenschlich starkes Gedächtnis für alle meine Schüler, ich hätte dich nicht wiedererkannt. So aber erkenne ich dich genau, ja, du bist mein Schüler. Aber warum kommst du wieder zurück?

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