Donnerstag, 4. November 2010

Bauträume

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Die unter dem Normalmaß der domestischen Architektur sind es - die Feldhütte, die Eremitage, das Häuschen des Schrankenwärters, der Aussichtspavillon, die Kindervilla im Garten -, die wenigstens einen Abglanz des Friedens uns versprechen, wohingegen von einem Riesengebäude wie beispielsweise dem Justizpalast auf dem ehemaligen Galgenberg niemand, der bei rechten Sinnen ist, behaupten kann, daß er ihm gefalle. Beim Bauen aber scheint es sich um eine kaum zu kurierende Sucht der Menschen und um ein schweres, sich gern mit dem Größenwahn verbindendes Laster zu handeln. Auch in unserer Stadt wird immerfort gebaut. Nicht um sie zu erweitern, sie genügt den Bedürfnissen, seit langer Zeit sind ihre Grenzen unverändert, ja es scheint eine gewisse Scheu davor zu bestehn, sie zu vergrößern, lieber schränkt man sich ein, verbaut Plätze und Gärten, setzt neue Stockwerke auf alte Häuser, aber tatsächlich sind diese Neubauten auch gar nicht der Hauptteil des fortwährenden Baubetriebs. Dieser richtet sich vielmehr, um es vorläufig so auszudrücken, darauf, das Bestehende zu sichern. Nicht, daß man früher schlechter gebaut hätte als heute und die alten Fehler nun immerfort verbessern müßte. Eine gewisse Nachlässigkeit – es ist schwer zu sondern, was daran Leichtsinn, was schwerblütige Unruhe ist – herrscht zwar bei uns immer, aber gerade beim Bauen hat sie die wenigste Gelegenheit, sich zu äußern. Wir sind doch in dem Land der Steinbrüche, bauen fast nur aus Stern, selbst Marmor steht zur Verfügung, und was beim Bauen die Menschen versäumen mögen, macht die Beständigkeit und Unverrückbarkeit des Materials wieder gut. Auch gibt es in Hinsicht des Bauens keinen Unterschied zwischen den Zeiten, von altersher gelten die gleichen Bauregeln, und wenn sie infolge des Volkscharakters nicht immer streng beachtet werden, so geschieht auch dies unverändert und gilt für die ältesten Bauten wie für die neuesten. So steht zum Beispiel auf dem Romberg vor der Stadt eine Ruine, es sind die Reste eines Landhauses, das hier vor mehr als tausend Jahren gebaut worden sein soll. Ein reicher, alt und einsam gewordener Kaufmann soll es sich haben erbauen lassen, gleich nach seinem Tod soll es verfallen sein, es findet sich bei uns nicht leicht einer, der so weit außerhalb der Stadt wohnen wollte. So war der Bau der Zerstörung durch die Jahrhunderte preisgegeben, und deren Arbeit ist allerdings sorgfältiger als die der Bauleute. Jetzt aber ist auf dem Platz des inzwischen abgerissenen alten Landhauses ein Traumwerk, ein Prinzenpalast errichtet worden, dessen besonderer Ruhm darin besteht, daß sich die Übergänge zwischen Interieur und Außenwelt so gut wie unmerklich vollziehen. Es gibt Korridore, die in einer Farngrotte mit einem immerzu plätschernden Brunnen zusammentreffen, überlaubte Gartengänge, die sich kreuzen unter der Kuppel einer phantastischen Moschee. Versenkbare Fenster öffnen den Raum nach außen, während inwendig auf den auf den Spiegelwänden die Landschaft erscheint. Die Paradiesvögel und Goldfasane auf den Seidentapeten, die Stieglitze in den Volieren und die Nachtigallen im Garten, die Teppicharabesken und die von Buchsbaumhecken eingefaßten Blumenparterres, all das changiert in einer Weise, daß die Illusion einer vollkommenen Harmonie hervorgerufen wird zwischen natürlichem Wachstum und Fabrikation.

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