Dienstag, 22. Februar 2011

Am Fenster

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Gerade damals glaubten einige, die Kaiserin selbst in einem Fenster des Palastes gesehen zu haben; niemals sonst kommt sie in diese äußeren Gemächer, immer nur lebt sie in dem innersten Garten; diesmal aber stand sie, so schien es ihnen wenigstens, an einem der Fenster und blickte mit gesenktem Kopf auf das Treiben vor ihrem Schloß. Der Blick der Kaiserin war aber ganz leer, und sie lauschte in Wahrheit nur hingebungsvoll auf das leise, gleichmäßige, ungemein beruhigende Vertilgungsgeräusch, das aus dem Hintergrund von den ungezählten, das frische Maulbeerlaub zernagenden Seidenwürmern kam. Diese blassen, beinahe transparenten Wesen, die bald ihr Leben lassen würden für den feinen Faden, den sie spannen, betrachtete sie als ihre wahren Getreuen, sie erschienen ihr als das ideale Volk, dienstfertig, todesbereit, in kurzer Zeit beliebig vermehrbar, ausgerichtet nur auf einen einzigen ihnen vorbestimmten Zweck, völlig das Gegenteil der Menschen, auf die grundsätzlich kein Verlaß war, auf die namenlosen Massen draußen im Reich so wenig wie auf diejenigen, die den innersten Kreis bildeten um sie und die, wie sie ahnte, jederzeit imstande waren, sie fallen zu lassen.

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