Donnerstag, 3. Februar 2011

Klageton

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Man sah hinab auf allerhand halbverfallene Anbauten mit Schieferdächern und einen Hinterhof. Drei Häuser stießen aneinander und bildeten den kleinen Hof. In diesem Hof waren in Schuppen noch zwei Werkstätten untergebracht, und in einer Ecke stand ein hoher Haufen kleiner Kisten. Den ganzen Herbst hindurch hatten sich hier die Ratten getummelt, bis ein paar Wochen vor Weihnachten ein kleiner Rattenfänger mit einem verbeulten Eimerchen voller Rattengift kam, das er mit einem an einen kurzen Stecken gebundenen Suppenlöffel in verschiedene Ecken, Winkel, Abflußrinnen und Rohre gab, was die Anzahl der Ratten auf ein paar Monate beträchtlich herabminderte. In einer äußerst stürmischen Nacht – der Wind trieb die Regenmassen über das niedrigste der Häuser scharf in den Hof hinein – hörte ein Student, der in einer Dachkammer noch über seinen Büchern saß, einen lauten Klageton aus dem Hof. Er fuhr auf und horchte, es blieb aber still, dauernd still. Eine Täuschung wohl, sagte sich der Student und begann wieder zu lesen. Keine Täuschung, so setzten sich nach einem Weilchen die Buchstaben im Buch förmlich zusammen. Täuschung, wiederholte er und half den unruhig werdenden Zeilen mit seinem Zeigefinger nach, den er entlangführte. Er trat ans Fenster und sah auf die Gesimse und Mauervorsprünge, auf denen Stare, die in der Dämmerung in dunklen Wolken über die Stadt hineingebrochen waren, dicht an dicht für die Nacht sich niedergelassen hatten. Weiter hinten, in einem Bezirk, wo die Behörden quadratmeilenweise die baufälligen Gebäude hatten niederreißen lassen, begannen an verschiedenen Stellen Feuerchen zu flackern, um die als unstete Schattenfiguren Kinder herumstanden und -sprangen. Auf dem kahlen Gelände begegnete man immer wieder nur Kindern, die in kleinen Gruppen, scharenweise oder aber für sich allein dort herumzogen, als hätten sie nirgendwo sonst eine Wohnung.

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