Freitag, 4. Februar 2011

Kommentar Predigerleben

Nach einem alten Spiel werden die Figuren eines Romans in sogenannte positive und negative Helden aufgeteilt. Unter neuzeitlich Geschulten hat der Prediger Elias aus Wales wohl wenig Aussicht, auf die gute Seite zu gelangen, er trägt wenig zur Heiterkeit bei. Dem Dichter gilt er aber vor allem als Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr in die grausame Mühle der Wortfindung eingespannter Leidensgenosse, und der Erfolg seiner Wort- und Vortragskunst, die Besucher des Bethauses mit kalkweißem Gesicht zu entlassen, wird bei nicht wenigen Vertretern der darstellenden Kunst eine ähnliche, allerdings vom Neid erzeugte Blässe hervorrufen. Von Sebald wissen wir bereits, daß der Prediger sich selbst von keinem seiner Strafgerichte ausnimmt, von Kafka erfahren wir nun genaueres über sein Seelenleben. Worte finden heißt immer auch, das Grauen finden. Erbarme dich meiner, ich bin sündig bis in alle Winkel meines Wesens. Der Prediger wird wissen, wen er anruft.

Kafka TB 1916

Predigerleben

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