Mittwoch, 2. Februar 2011

Stimmbildung

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Aufgewachsen in einem Dorf am Nordrand er Alpen ist Selysses, nach eigener Aussage, zunächst kaum überzeugenden Exemplaren der Sangeskunst begegnet. Im Radio sangen vornehmlich die Rottachtaler Volksmusikanten eines ihrer lustigen Stanzllieder in dem Marder vorkamen und Füchse und allerlei anderes Getier und von dem jede der zahlreichen Strophen endete mit einem Holadrüjühü, Holladrijo. Die Erinnerung daran steigt auf in ihm, als er viele Jahre später in Evisa auf Korsika aus dem Kassettenrecorder im Café des Sports eine Art von türkischem Trauermarsch dringt und zwischendurch eine hohe, aus dem Kehlkopf hervorgepreßte Männerstimme, die immerhin die Peinlichkeit der Rottachtaler zu vermeiden weiß. Auch der besondere Zauber der Kirchenmusik wurde ihm nicht vorenthalten, schrie doch der Herz Adam, ein entlaufener Klosterbruder, allsonntaglich mit der Inbrunst eines von furchtbaren Seelenschmerzen um seinen Verstand gebrachten Menschen die katholischen Kirchenlieder, die er sämtlich auswendig kannte, aus sich heraus Sein Gesicht war dabei mit einem qualvollen Ausdruck aufwärts gekehrt, die Kinnlade war vorgeschoben, und die Augen waren geschlossen. - Die geschlossenen Augen sind, wie noch zu zeigen ist, immerhin ein Anfang. Ohne Zweifel aber ist es auf diese zum Teil niederschmetternden, in jedem Fall aber unzureichenden Gesangsbeispiele zurückzuführen, wenn ihm sogleich einleuchtete, daß das innerste Geheimnis der Musik, wie er glaubt viel später in einer der Studien Sigmunds Freuds gelesen haben, eine Geste sei zur Abwehr der Paranoia, daß wir Musik machten, um uns zu Wehr zu setzen gegen die Überflutung durch die Schrecken der Wirklichkeit. Cortázars Anleitung zum Gesang wird ihm dann einerseits als Bestätigung, dann aber auch als Weg zur Befreiung des Gesangs und der Musik von ihrer einseitigen psychiatrischen Indienstnahme erschienen sein: Empiece por romper los espejos de su casa, deje caer los brazos, mire vagamente la pared, olvídese. Cante una sola nota, escuche por dentro. Si oye (pero sto ocurrirá mucho después) algo como unpaisaje sumido en el miedo, con hogueras entre las piedras, con siluetas semidesnudas en cuclillas, creo que estará bien encaminado, y lo mismo si oye un rió por donde bajan barcas pintadas de amarillo y negro - am besten ein schwerer alter Kahn, verhältnismäßig niedrig und sehr ausgebaucht, verunreinigt, wie mit Schwarzwasser ganz und gar übergossen, es troff scheinbar die gelbliche Außenwand hinab, die Masten unverständlich hoch, der Hauptmast im obern Drittel geknickt, faltige, rauhe, gelbbraune Segeltücher zwischen den Hölzern kreuz und quer gezogen, Flickarbeit, keinem Windstoß gewachsen - si oye un rió u si oye un sabor de pan, un tacto de dedos, una sombra de caballo. Después compre solfeos y un frac y por favor no cante por la nariz y deje en paz de Schumann.

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