Freitag, 4. Februar 2011

Predigerleben

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Am Sonntag, wenn er vor die im Bethaus versammelten Gemeinde hintrat und ihr oft eine Stunde lang mit einer tatsächlich erschütternder Wortgewalt das allen bevorstehende Strafgericht, die Farben des Fegefeuers und die Qualen der Verdammnis sowie, in den wunderbarsten Stern- und Himmelsbildern, vor Augen führte, war er ein verwandelter Mann. Immer gelang es ihm, anscheinend mühelos, so als erfände er noch die entsetzlichsten Dinge aus dem Stegreif heraus, die Herzen seiner Zuhörerschaft mit einem solchen Gefühl der Zerknirschung zu erfüllen, daß nicht wenige am Ende des Gottesdienstes mit einem kalkweißen Gesicht nach Hause gingen. Er, der Prediger, hingegen, war den restlichen Sonntag in verhältnismäßig aufgeräumter Stimmung. Bereits am Abend aber kam ihn wieder die Schwermut an. Erbarme dich meiner, ich bin sündig bis in alle Winkel meines Wesens. Hatte aber nicht ganz verächtliche Anlagen, kleine gute Fähigkeiten, wüstete mit ihnen, unberatenes Wesen, das ich war, bin jetzt nahe am Ende, gerade zu einer Zeit, wo sich äußerlich alles zum Guten für mich wenden könnte. Schiebe mich nicht zu den Verlorenen. Ich weiß, es ist eine lächerliche, in der Ferne und schon sogar in der Nähe lächerliche Eigenliebe, die daraus spricht, aber lebe ich einmal, so habe ich auch die Eigenliebe des Lebendigen, und ist das Lebendige nicht lächerlich, dann auch seine notwendigen Äußerungen nicht. Arme Dialektik! Bin ich verurteilt, so bin ich nicht nur verurteilt zum Ende, sondern auch verurteilt, mich bis ins Ende hinein zu wehren.

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