Samstag, 5. Februar 2011

Austoben der Laster

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Sein wegen seines unerbittlichen Regiments gefürchteter Vorgänger, bei dem Straffällige stundenlang auf kantigen Scheitern knien mußten, hatte, damit die Kinder nicht hinausschauen konnten, die Fenster zur Hälfte mit Kalkfarbe weißeln lassen. Die erste Amtshandlung nach seiner Einstellung war es gewesen, daß er diesen Anstrich mit einer Rasierklinge in eigenhändiger, mühevoller Arbeit wieder entfernte, was im Grunde so dringend nicht gewesen wäre, weil er ohnehin die Gewohnheit hatte, die Fenster, sogar bei schlechtem Wetter, ja selbst im Winter bei strenger Kälte sperrangelweit aufzureißen, war er doch fest davon überzeugt, daß Sauerstoffmangel die menschliche Denkfähigkeit beeinträchtigte. Überhaupt, sagte er immer wieder, sei die Erziehung nichts als eine Verschwörung der Großen. Wir ziehen die frei Herumtobenden unter Vorspiegelungen, an die wir auch, aber nicht in dem vorgegebenen Sinne glauben, in unser enges Haus, das sei die Wahrheit. Wer möchte nicht gern ein Edelmann sein. Türschließen. Das Lächerliche in der Erklärung und Bekämpfung von Max und Moritz. Der Wert des Austobens der Laster, der durch nichts zu ersetzen ist, bestehe darin, daß sie in ihrer ganzen Kraft und Größe aufstehen und sichtbar werden, selbst wenn man in der Erregung der Mitbeteiligung nur einen kleinen Schimmer von ihnen sehe. Man lernt das Matrosenleben nicht durch Übungen in einer Pfütze, wohl aber kann man durch allzugroßes Training in der Pfütze unfähig zum Matrosen werden.

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