Dienstag, 1. Februar 2011

Die alte Jacke

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Hinter der Rezeption war, nachdem sich auf mein Läuten lang nichts gerührt hatte, eine sehr wortkarge Dame aufgetaucht. Ich hatte nirgends eine Tür gehen hören, nirgends sie hereinkommen sehen, und doch war sie auf einmal dagewesen. Mit unverhohlener Mißbilligung musterte sie mich, sei es wegen meiner von der langen Wanderschaft in Mitleidenschaft gezogenen äußeren Erscheinung, sei es wegen meiner ihr unerklärlichen Geistesabwesenheit. Ich erkannte sie gleich. Eigentlich ein Abgrund von Häßlichkeit, dachte ich, plumper Körper, wie noch vom Schlafe her gelöst. Dabei hielt sie, als sei es ihr kalt, mit der Linken die Strickjacke zusammen und erledigte umständlich und ungeschickt alles nur mit der anderen Hand, wodurch sie, wir mir schien, sich Bedenkzeit gewinnen wollte diesem eigenartigen Novembergast gegenüber. Die alte Jacke, die ich noch kenne; was sie unter der Jacke trägt, ist ebenso unkenntlich wie verdächtig, vielleicht nur das Hemd; es ist ihr offenbar auch unheimlich, in diesem Zustand getroffen zu werden, aber sie tut etwas Falsches, statt den Ort der Verlegenheit zu verbergen, greift sie wie schuldbewußt in den Jackenausschnitt, zieht die Jacke erneut zurecht. Starker Bartflaum auf der Oberlippe, aber nur an einer Stelle, ausgesucht häßlicher Eindruck. Trotz allem gefällt sie mir, wie auch damals schon, sehr gut, auch im zweifellos Häßlichen, überdies ist die Schönheit ihres Lächelns unverändert, die Schönheit der Augen hat durch die Herabminderung des Ganzen gelitten. Im übrigen sind wir durch Erdteile getrennt, ich verstehe sie gewiß nicht, sie dagegen, die sich offenbar nicht an mich erinnert, begnügt sich mit dem ersten oberflächlichsten Eindruck, den sie von mir erhalten hat.

Keine Kommentare: