Donnerstag, 3. Februar 2011

Regen

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Es war eine Kaffeewirtschaft in einem kleinen Ort. Der Nachmittag war regnerisch gewesen, kein Gast war erschienen. Erst gegen Abend lichtete sich der Himmel, der Regen hörte langsam auf, und die Kellnerinnen begannen die Tische abzutrocknen. Der Wirt stand unter dem Torbogen und blickte nach Gästen aus. Tatsächlich kam auch schon einer den Waldweg herauf. Er trug ein langgefranstes Plaid über der Schulter, hielt den Kopf zur Brust geneigt und setzte mit gestreckter Hand den Stock bei jedem Schritt weit von sich auf den Boden. Ich war es, den der Wirt da herankommen sah. Zu meiner ersten Tagesrast war ich auf einem Rastplatz am Saum des Hochwalds gesessen. Über tiefblaue, auf ihrem Grund beinahe schwarze Kessel und Täler hinweg sah ich im halben Umkreis Granitriffe und Gipfel, von denen manche aufragten bis zu einer Höhe von zweieinhalbtausend Meter und mehr. Im Westen stand eine immer dunkler werdende Wolkenwand, aber noch war die Luft so still, daß nicht der geringste Halm sich regte. Eine Stunde später hatte ich gerade beim Ausbrechen des Unwetters die Kaffeewirtschaft erreicht. Die Hoffnung des Wirtes auf einen Gast hatte ich erfüllt, und gleichzeitig, da ich den Regen zurückbrachte, die Hoffnung auf weitere Gäste zerstört. Der einzige Gast außer mir war ein greiser, mit einem wollenen Kittel und einem ausgedienten Armeeanorak bereits für die Wintermonate gerüsteter Mann. Vielleicht hatte auch er sich vor dem Regen in die Kaffeewirtschaft geflüchtet, eher aber glich er einem sogenannten Dauergast. Seine vom Star getrübten Augen, die er gleich einem Blinden etwas aufrecht gegen die Helligkeit gerichtet hielt, waren von derselben eisgrauen Farbe wie der Pastis in seinem Glas. Er blickte nur immer unverwandt nach oben und drehte dabei gleichmäßig mit dem Daumen und dem Zeigefinger seiner rechten Hand den sechskantigen Stiel seines Glases Ruck für Ruck weiter, so gleichmäßig, als habe er in seiner Brust statt eines Herzens das Räderwerk einer Uhr.

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