Aus dem Schattenreich
Kommentar
Es ist im Schlaf gewesen, während draußen alles längst in Dunkelheit eingetaucht war, daß ich ein seither unvergeßliches Landschaftsbild gesehen habe. Über den Dächern erhoben sich dunkel bewaldete Kogel, die schwarzgezackte Höhenlinie wie ausgeschnitten aus dem Gegenschein des Abendlichts. Zuoberst aber glühend, transparent, feuerspeiend und funkenstiebend die Spitze des Schneebergs, hineinragend in die letzte Helligkeit des Himmels, an dem die seltsamsten graurosafarbenen Wolkengebilde trieben und zwischen diesen die Winterplaneten und die Sichel des Mondes. Es bestand für mich im Traum keinerlei Zweifel, daß es sich bei dem Vulkan um den Schneeberg handelte. Aufgewacht bin ich erst mit dem Gefühl, daß der Zug, der sich so lange mit gleichmäßiger Geschwindigkeit durch die Täler gewunden hatte, nun aus dem Gebirge heraus- und in die Ebene hineinstürzte. Ich riß das Fenster herab. Krachend schlugen mir die Nebelfetzen entgegen. Wir befanden uns in einer halsbrecherischen Fahrt. Bläulichschwarze Steinmassen gingen in spitzen Keilen bis an den Zug heran. Ich beugte mich hinaus und suchte vergebens ihre Gipfel. Dunkle schmale zerrissene Täler öffneten sich, Bergbäche und Wasserfälle, weiß stäubend in der kaum gebrochenen Nacht, waren so nah, daß der Hauch ihrer Kühle das Gesicht erschauern machte. Das Friaulische, ging es mir durch den Kopf. Nach und nach brachte das Morgengrauen verschobenes Erdreich, Felsbrocken, in sich zusammengesunkenes Bauwerk, Schutt- und Schotterhalden an den Tag. Es brannte fast nirgends ein Licht in der ganzen Gegend. Eine Ebene, der Fluß eigentlich nicht vorhanden, viele sich drängende aufgeregte Zuschauer, bereit, je nach der Lage, vorwärts oder zurückzulaufen. Vor mir Hochebene, deren Rand, abwechselnd leer und mit hohem Gesträuch bewachsen, man sehr deutlich sieht. Oben auf der Hochebene und jenseits ihrer kämpfen Österreicher. Man ist in Spannung: wie wird es werden? Zwischendurch sieht man, offenbar um sich zu erholen, vereinzelte Gebüsche auf dunklem Abhang, hinter denen hervor ein oder zwei Italiener schießen. Das ist aber bedeutungslos, ich allerdings laufe schon ein wenig. Dann wieder die Hochebene. Österreicher laufen den leeren Rand entlang, bleiben mit einem Ruck hinter den Sträuchern stehen, laufen wieder. Es geht offenbar schlecht, es wird auch unbegreiflich, wie es jemals gut gehen könnte, wie kann man, da man auch nur ein Mensch ist, Menschen, die den Willenhaben, sich zu wehren, jemals überwältigen. Große Verzweiflung, allgemeine Flucht wird nötig werden. Da erscheint ein preußischer Major, der übrigens die ganze Zeit über mit mir die Schlacht beobachtet hat, aber wie er jetzt ruhig in den plötzlich leer gewordenen Raum tritt, ist er eine neue Erscheinung. Er streckt zwei Finger von jeder Hand in den Mund und pfeift, wie man einem Hund pfeift, aber liebend. Das Zeichen gilt seiner Abteilung, die unweit gewartet hat und jetzt vormarschiert. Es ist preußische Garde, junge stille Leute, nicht viele, vielleicht nur eine Kompagnie, alle scheinen Offiziere zu sein, wenigstens habe sie lange Säbel, die Uniformen sind dunkel. Wie sie nun an mir mit kurzen Schritten, langsam, gedrängt vorbeimarschieren, hie und da mich ansehn, ist die Selbstverständlichkeit dieses Todesganges gleichzeitig rührend, erhebend und siegverbürgend. Erlöst durch das Eingreifen dieser Männer erwachte ich. Wann aber war ich in Schlaf gefallen?