Mittwoch, 12. Januar 2011

Kommentar Charlotte

In den Ringen des Saturn schildert Sebald die zarten Liebesvorgänge zwischen dem in England Asyl suchenden Chateaubriand und der Pfarrerstochter Charlotte. Die Amerikavorträge des Vicomte, die er offenbar ganz in der geglätteten Melancholie seiner Indianerschriften hält, verfehlen nicht ihre Wirkung auf das noch junge Geschöpf, das sich zugleich aber, ganz wie Selysses, von unscheinbaren Einzelheiten mehr beeindrucken läßt als von hohen Gedanken ohne auch nur zu wissen, was es ist an bestimmten Dingen und Wesen, das sie manchmal so rührt. Nach einem seiner Besuche wird der junge Mann von Kafka heimbegleitet, und bei dieser Gelegenheit erfahren wir, daß ihm heimlich eine ganz andere Art von Prosa durch den Kopf geht, als seine Schriften vermuten lassen. Niemals hätte er Atala einen Zahnstocher in einen hohlen Zahn führen und ihn dort eine Viertelstunde lang ruhen lassen. Lug und Trug muß man darin nicht sehen, nur steht die Dichtung des Vicomte in einem besonders prekären Verhältnis zur Wahrheit.
Kafka TB 1911

Charlotte

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