Freitag, 14. Januar 2011

Kommentar Austerlitz

Da ist wenig Schatten in diesem Stückchen aus dem Schattenreich, möchte man meinen, Austerlitz selbst nennt bei hellem Tageslicht Kafkas Tagebuch als eine der Referenzen für seinen Namen, die entsprechende Tagebuchstelle ist einfach hinzugefügt. Ein frischer Funken springt nicht aus der Fuge, aber sie lädt zum Nachdenken ein.

Wenn es schon recht weitgehend ist, die Schwindel.Gefühle als Erweiterung und Ausmalung von zwei Kafkatexten zu den Jägern Gracchus und Schlag zu lesen, so wäre es zweifellos radikal, Austerlitz als Ausmalung einer Tagebucheintragung Kafkas zur Abfahrt eines Zuges aus dem Prager Bahnhof zu verstehen. Die Herleitung des Namens Austerlitz aus einem anderen Tagebucheintrag – die im Buch noch angeführten anderen beiden Namensgleichheiten sind offensichtlich sekundär – bezeugt aber, daß Sebalds Prag Kafkas Prag ist.

Sebalds Werk ist durchsetzt von der Tragödie der Juden, Ausblicke auf das traditionelle jüdische Leben sind dabei selten. Wunderschön aber kurz im Textumfang ist die Reminiszenz Selwyns an seine Kindheit in einem Schtetl unfern Grodno. Auch in Kafkas fiktionalem Werk ist sein Judentum wenig auffällig, anders sieht das aus in den Tagebüchern. Die Gewinnung des Namens Austerlitz aus einer Beschneidungsszenerie in Kafkas Tagebuch unterlegt das gesamte Buch Austerlitz mit dem ins Schattenreich entschwundenen jüdischen Leben.

Kafka TB 1911

Austerlitz

Keine Kommentare: