Dienstag, 11. Januar 2011

Kommentar Selchereien

Selysses sehen wir selten bei einer Mahlzeit, nie in seinem Heim, denn dort sehen wir ihn gar nicht, und Restaurantbesuche, zu denen wir ihn begleiten dürfen, mißlingen fast immer. Von Kafka erfahren wir nun zu unserer Verwunderung, daß er insgeheim die Gelüste eines Vielfrasses hat und nur durch seinen schwachen Magen an der permanenten Ausübung der einschlägigen Todsünde gehindert ist. Betrachtet man den vollen Umfang seiner Gier: Selchereien, alte harte Hauswürste, rasch, regelmäßig und rücksichtslos, wie von eine Maschine geschluckt, lange Schwarten von Rippenfleisch ungebissen in den Mund gestoßen, schmutzige Greislerläden vollständig leergegessen, Heringe, Gurken und alle schlechten alten scharfen Speisen, Bonbons aus ihren Blechtöpfen wie Hagel eingeschüttet – hält man sich das vor Augen, so kann man diesem halluzinerenden Gargantua des Verzehrs nur wünschen, daß die Phasen gesunder Magenverhältnisse zu kurz sind, um zur Verwirklichung zu schreiten.
Kafka TB 1011

Selchereien

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