Donnerstag, 6. Januar 2011

Ruinenbewohner

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Das Schulleben in dieser Anstalt hielt sich, wie ich schon bald herausfand, mehr oder weniger von selber in Gang, eher trotz als dank der dort wirkenden Pädagogen. Es wurde bestimmt nicht durch ein wie immer dort wirkendes Ethos, sondern durch die vielen Schülergenerationen zurückreichenden Sitten und Gebräuche, von denen manche einen geradezu orientalischen Charakter hatten. Es gab die verschiedensten Formen der Großtyrannei und des Kleindespotismus, der erzwungenen Dienstleistung, der Versklavung, der Hörigkeit, der Begünstigung und des Zurückgesetztwerdens, der Heldenverehrung, des Ostrazismus, des Strafvollzugs und der Begnadigung, vermittels deren die Zöglinge, ohne jede Oberaufsicht sich selber, ja man kann sagen, die gesamte Anstalt, die Lehrer nicht ausgenommen, regierten. Für mich sind die Jahre in dieser Lehranstalt, anders als für die meisten anderen, nicht eine Zeit der Gefangenschaft, sondern der Befreiung gewesen. Aber die Frage nach der Güte der Erziehung trifft nicht das eigentliche Ziel. Die eigentliche Frage ist die nach der Erziehung ganz unabhängig vom Grad ihrer Gelingens. Und wenn ich es in dieser Weise bedenke, so muß ich sagen, daß mir meine Erziehung in mancher Richtung sehr geschadet hat. Ich bin ja nicht irgendwo abseits, vielleicht in einer Ruine in den Bergen, erzogen worden, dagegen könnte ich ja kein Wort des Vorwurfes herausbringen. Auf die Gefahr hin, daß die ganze Reihe meiner vergangenen Lehrer dies nicht begreifen kann, gerne und am liebsten wäre ich jener kleine Ruinenbewohner gewesen, abgebrannt, von der Sonne, die da zwischen den Trümmern von allen Seiten auf den lauen Efeu mir geschienen hätte, wenn ich auch im Anfang schwach gewesen wäre unter dem Druck meiner guten Eigenschaften, die mit der Macht des Unkrauts in mir emporgewachsen wären. Kommentar Ruinenbewohner

Keine Kommentare: