Sonntag, 9. Januar 2011

Kommentar Zaudern

Selysses schildert während seiner Italienreise mit einigem Selbstspott seine zögernden und in aller regel verunglückenden Bemühungen, geeignete Speiselokale zu finden. In der kleinen Erzählung La cour de l’ancienne école wird uns, eigentlich streng untersagt, ein kurzer Blick in das Arbeitszimmer des Dichters gewährt, ein Brief liegt ungeöffnet auf dem Schreibtisch. Kafka, der, anders als wir, ständigen Zugang hat, bemüht sich, das Zaudern als eine besondere Form der Gründlichkeit zu deuten. Mit dem Speisen mag es sein, wie es will, richtig ist, daß ein Brief frei in der Zeit atmen will. Alle Momente unseres Umgangs mit Briefen, das Schreiben, das Öffnen, das Lesen, mögen dem Rechnung tragen, der kurze Augenblick seiner Aushändigung macht uns hilflos. Sicher ist es aber übertrieben, einen Brief daraufhin gleich Monate ungeöffnet liegen zu lassen.

Kafka TB 1910

Zaudern

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