Donnerstag, 6. Januar 2011

Unwohl

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Ich setzte mich eine Zeit nieder und wußte auf einen Schlag nicht mehr, wo ich mich befand. Trotz des angestrengtesten Versuchs, mir Rechenschaft zu geben über den Verlauf der letzten Tage, die mich hierher gebracht hatten, wußte ich nicht einmal zu sagen, ob ich noch in der Landschaft der Lebendigen oder bereits an einem anderen Ort weilte. An dieser Lähmung meines Erinnerungsvermögens änderte sich auch dann nichts, als ich auf die oberste Galerie hinaufstieg und von dort aus unter immer wiederkehrenden Schwindelgefühlen das vom Dunst über der mir nun vollends fremd gewordenen Stadt verdüsterte Panorama in Augenschein nahm. Ich bin wahrscheinlich krank, schon seit gestern, so fiel mir jetzt immerhin ein, juckt mich der Körper überall. Nachmittag hatte ich ein so heißes, verschiedenfarbiges Gesicht, daß ich beim Haareschneiden und der scharfen Rasur, der ich mich beim Bahnhofsbarbier gegenüber der Ferrovia unterzogen hatte, fürchtete, der Gehilfe, der doch mich und mein Spiegelbild immerfort sehn konnte, werde an mir eine große Krankheit erkennen. Auch die Verbindung zwischen Magen und Mund ist teilweise gestört, ein guldengroßer Deckel steigt entweder auf und ab oder liegt unten und strahlt mit einer sich verbreitenden, die Brust an der Oberfläche überziehenden, leicht drückenden Wirkung empor. Wahrscheinlich wird man mir wieder Gußbäder und elektrische Behandlungen verordnen, und ich werde die Zeit nutzen, um mich ganz in die Stille hineinzusenken. Mein Leid aber wird doch immer wieder, wie zu etwas Lebendigem geballt, über mich herfallen, zunächst beim Aufwachen, aber auch während der Mahlzeiten. Es wird vorkommen, daß ich dann glaube, gelähmt zu sein und das Eßbesteck nicht mehr handhaben zu können.

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