Aus dem Schattenreich
Kommentar
Ich bin ein sogenannter schwieriger Esser, mein Magen ist oft nicht gesund. Gestern, um nur ein Beispiel anzuführen, habe ich eine Pizzeria in der Innenstadt aufgesucht. Nun saß ich da auf einem mit marmoriertem roten Plastik bezogenen Küchensessel an einem wackligen Tischchen in einer mit Fischnetzen verhangenen Grotte. Der Bodenbelag und die Wände waren in einem gräßlichen maritimen Blau gehalten, das in mir jede Hoffnung, je wieder festes Land sehen zu dürfen, zunichte machte. Die Suggestion, allseits von Wasser umgeben zu sein, wurde vervollständigt durch ein Seestück, welches mir gegenüber in einem mit goldener Offenbronze gestrichenen Rahmen dicht unter der Decke hing. Es stellte ein Schiff dar, das zuoberst auf einem türkisgrünen Wellenkamm mit schneeweißen Schaumkronen eben sich neigt, um die unter seinem Bug sich öffnende gähnende Tiefe hinabzustürzen. Es war offensichtlich der Augenblick unmittelbar vor der Katastrophe. Mehr und mehr wurde ich von einem Gefühl des Unwohlseins ergriffen. Ich mußte den Teller mit der kaum zur Hälfte gegessenen Pizza beiseite schieben und mit den Händen mich an der Tischkante einhalten wie ein Seekranker an der Reling. Ich spürte, wie meine Stirn kalt wurde vor Angst und vermochte so eben noch, den Kellner herbeizurufen und die Rechnung zu verlangen. Auf der anderen Seite aber, dieses Verlangen, das ich fast immer habe, wenn ich einmal meinen Magen gesund fühle, Vorstellungen von schrecklichen Wagnissen mit Speisen in mir zu häufen. Besonders vor Selchereien befriedige ich dieses Verlangen. Sehe ich eine Wurst, die ein Zettel als eine alte harte Hauswurst anzeigt, beiße ich in meiner Einbildung mit ganzem Gebiß hinein und schlucke rasch, regelmäßig und rücksichtslos, wie eine Maschine. Die Verzweiflung, welche diese Tat selbst in der Vorstellung zur sofortigen Folge hat, steigert meine Eile. Die langen Schwarten von Rippenfleisch stoße ich ungebissen in den Mund und ziehe sie dann von hinten, den Magen und die Därme durchreißend, wieder heraus. Schmutzige Greislerläden esse ich vollständig leer. Fülle mich mit Heringen, Gurken und allen schlechten alten scharfen Speisen an. Bonbons werden aus ihren Blechtöpfen wie Hagel in mich geschüttet. Ich genieße dadurch nicht nur meinen gesunden Zustand, sondern auch ein Leiden, das ohne Schmerzen ist und gleich vorbeigehn kann.
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Ich bin ein sogenannter schwieriger Esser, mein Magen ist oft nicht gesund. Gestern, um nur ein Beispiel anzuführen, habe ich eine Pizzeria in der Innenstadt aufgesucht. Nun saß ich da auf einem mit marmoriertem roten Plastik bezogenen Küchensessel an einem wackligen Tischchen in einer mit Fischnetzen verhangenen Grotte. Der Bodenbelag und die Wände waren in einem gräßlichen maritimen Blau gehalten, das in mir jede Hoffnung, je wieder festes Land sehen zu dürfen, zunichte machte. Die Suggestion, allseits von Wasser umgeben zu sein, wurde vervollständigt durch ein Seestück, welches mir gegenüber in einem mit goldener Offenbronze gestrichenen Rahmen dicht unter der Decke hing. Es stellte ein Schiff dar, das zuoberst auf einem türkisgrünen Wellenkamm mit schneeweißen Schaumkronen eben sich neigt, um die unter seinem Bug sich öffnende gähnende Tiefe hinabzustürzen. Es war offensichtlich der Augenblick unmittelbar vor der Katastrophe. Mehr und mehr wurde ich von einem Gefühl des Unwohlseins ergriffen. Ich mußte den Teller mit der kaum zur Hälfte gegessenen Pizza beiseite schieben und mit den Händen mich an der Tischkante einhalten wie ein Seekranker an der Reling. Ich spürte, wie meine Stirn kalt wurde vor Angst und vermochte so eben noch, den Kellner herbeizurufen und die Rechnung zu verlangen. Auf der anderen Seite aber, dieses Verlangen, das ich fast immer habe, wenn ich einmal meinen Magen gesund fühle, Vorstellungen von schrecklichen Wagnissen mit Speisen in mir zu häufen. Besonders vor Selchereien befriedige ich dieses Verlangen. Sehe ich eine Wurst, die ein Zettel als eine alte harte Hauswurst anzeigt, beiße ich in meiner Einbildung mit ganzem Gebiß hinein und schlucke rasch, regelmäßig und rücksichtslos, wie eine Maschine. Die Verzweiflung, welche diese Tat selbst in der Vorstellung zur sofortigen Folge hat, steigert meine Eile. Die langen Schwarten von Rippenfleisch stoße ich ungebissen in den Mund und ziehe sie dann von hinten, den Magen und die Därme durchreißend, wieder heraus. Schmutzige Greislerläden esse ich vollständig leer. Fülle mich mit Heringen, Gurken und allen schlechten alten scharfen Speisen an. Bonbons werden aus ihren Blechtöpfen wie Hagel in mich geschüttet. Ich genieße dadurch nicht nur meinen gesunden Zustand, sondern auch ein Leiden, das ohne Schmerzen ist und gleich vorbeigehn kann.
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